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Der vernetzte Körper

Florian Rötzer  

Über den Body-Hacker Stelarc.

Der in Australien lebende Performancekünstler Stelarc reizt die gegenwärtig vorhandene Technik aus, um sich in einen Cyborg zu verwandeln, um seinen Körper an das Netz anzuschließen. Als Techno-Schamane verkündet er den Eintritt in das postbiologische Zeitalter und ruft damit ebensoviel Faszination wie Ablehnung hervor.

Der vernetzte Körper
Der ferngesteuerte Körper

Während der Ausstellung  Telepolis im November letzten Jahres verwandelte sich Stelarc über Stunden hinweg in eine ferngesteuerte Marionette. Sein Körper war über Elektroden und Computer mit dem Internet verbunden, und aus verschiedenen Orten konnten andere Menschen Stelarc in Bewegung versetzen, der geduldig, wie ein Opfer auf dem Altar der Technik, sich durch schwache Stromstöße steuern ließ. Ob das eine künstlerische Performance ist? Wohl eher ein arrangiertes Experiment mit dem vernetzten Fleisch, eine Demonstration, daß der Körper vom Netz nicht ausgeschlossen wird, sondern zu dessem Bestandteil wird.

Elektroden befinden sich auf Armen und Beinen. Kabel führen zu einem seltsamen Kasten, auf dem die Figur eines Mannes aufgemalt ist, in dessen Umrissen man einige Schalter sehen kann. Fließt schwacher Strom durch die Kabel, so beginnen sich die Gliedmaßen zu bewegen, muß Stelarc gelegentlich aufpassen, daß die Auslösung von wirren und unkoordinierten Gesten nicht seinen Körper ins Straucheln bringt. Es ist, als habe ein Dämon von ihm Besitz ergriffen. Body-Hacker Stelarc findet mit seinen Ausblicken auf die post-biologische Zukunft der Menschen als Cyborgs immer mehr Aufmerksamkeit. Nicht die Macht, so sagt er, interessiere ihn, die man dadurch vielleicht über einen anderen Menschen erlangen könnte, sondern einzig der Sachverhalt, daß man sich so den Körper eines anderen oder Teile von ihm für eine gewisse Zeit ausleihen kann. Das könne schließlich ja auch wechselseitig geschehen. Die Muskelbewegungen des einen Menschen lassen sich durch Sensoren abnehmen und auf einen anderen übertragen. Telepräsenz oder Tele-Existenz heißt nicht nur, aus der Ferne Roboter oder Avatars zu steuern, sondern auch in Echtzeit andere menschliche Körper in der wirklichen Welt.

Ausbruch aus der Endlichkeit

Stelarcs Weltsicht ist optimistisch und getragen von der Faszination am Neuen. Aber wenn man mit ihm spricht oder wenn man seine Texte liest, die futuristischen Manifesten ähneln, dann erhält auch den Eindruck, daß Stelarc stellvertretend und der Zukunft vorgreifend an sich durchexerziert, was das Schicksal der Menschheit sein könnte: eine sich langsam selbst überholende biologische Gattung, die abgewirtschaftet ist. Der physiologische Körper des Menschen ist für Stelarc überaltert. Er muß ergänzt, ersetzt, erweitert und ausgehöhlt werden, um sich mit den Maschinen zu verbinden, um diese in sich zu implantieren, damit er mit ihnen Schritt halten zu kann. Es geht nicht mehr um die Veränderung der Welt, um den Ausbau des Cyberspace, sondern um die Transformation des Menschen in einen Cyborg, wenn er sich noch in die Zukunft hinüberretten will. Einen unvollkommenen Vorschein vom neuen Körper sollen seine Schaustellungen geben. Stelarc träumt beispielsweise davon, den Körper dauerhafter, weniger verletzlich und unabhängiger von einer biologischen Umwelt zu machen, ihn ein wenig oder für immer aus der Endlichkeit zu befreien.


Wenn wir eine synthetische Haut herstellen könnten, die Sauerstoff direkt durch die Poren aufnehmen und Licht auf effiziente Weise in chemische Nährstoffe umwandeln könnte, dann könnten wir den Körper radikal neu gestalten und viele seiner überflüssigen, schlecht funktionierenden Organe eliminieren. Ganzkörperanzüge, wie man sie in der Virtuellen Realität gebraucht, kann man als Simulationen einer veränderten Haut betrachten - als eine synthetische Haut, die den Körper aushöhlt, um ihn zu einem besseren Wirt für die implantierten Schaltkreise zu machen, und die gleichzeitig seine Schnittstelle mit dem technologischen Bereich verbessert, den er jetzt bewohnt.
Stelarc

Ob der Körper von außen an eine Maschine angeschlossen wird oder ob Maschinen in ihn hineinwandern, so sollten wir uns bereits jetzt darauf vorbereiten, Bestandteile von immer komplexeren Mensch-Maschine-Systemen zu werden, und lernen, unseren Körper mit dem Maschinenrhythmus zu synchronisieren. Das ist die Botschaft des Künstler-Propheten, die er uns durch apodiktische Texte und Kommentare einhämmern, durch wilde Performances anschaulich machen will. Prothesen, Sensoren, Stimulatoren, Roboter, Brainchips oder VR-Schnittstellen bilden die Welt von Stelarc. Eine Art High-Tech-Jahrmarktsattraktion, in den Raum der Kunst gesetzt und mit viel Zukunft gewürzt.

Einige Stationen

Angefangen hat Stelarc Ende der 60er Jahre mit Multimedia Performances. Bald darauf setzte er alle damals verfügbaren Schnittstellen mit dem Körper vom EEG über das EKG bis hin zum EMG oder Positionsensoren ein, um audiovisuelle Effekte zu steuern. Der Körper mit seinen physiologischen Daten wurde mehr und mehr zum Kunstwerk. Er experimentierte mit Situationen sensorischer Deprivation, filmte mit einem Endoskop seinen Magen, seinen Darm und seine Lungen von innen, durchbohrte seine Haut mit Haken, an denen er seinen Körper durch die Luft schweben ließ, um die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit und der Schmerzen zu erkunden. High-Tech-Fakir, Masochist oder ein Frankenstein, der seinen eigenen Körper benutzt? Scheinbar nimmt Stelarc am gegenwärtigen Körperkult teil, aber er propagiert ein ganz anderes Körperbewußtsein, das einer radikalen Cyberkultur. Das Natürliche hat ausgedient, ist eine nostalgische Reaktion, seine Feier nur Zeichen des baldigen Verschwindens in andere, technisch unterstützte Verkörperungen.

Noch ist der Körper unsere Schnittstelle zur Welt, dient er zur Steuerung von Maschinen, vermag nichts, ihn zu ersetzen. Stelarc besucht, vor allem in Japan, die Robotik-Institute, er sieht sich auch in Krankenhäusern um, wo neue Prothesen, bildgebende Verfahren, Sensoren und Stimulatoren zum Einsatz kommen. Seit 1976 tritt er beispielsweise mit seiner "Dritten Hand" auf. Lange dauert es, sie an seinen Körper anzuschließen, die Sensoren und Elektroden anzulegen. Dann steht er auf der Bühne, bewegt sie teils durch willkürliche, teils durch unwillkürliche Muskelbewegngen, schreibt mit drei Händen gleichzeitig ein Wort. Der Körper muß lernen, um sich zu erweitern, um seine Haut, seine Sinne, seine Gliedmaßen über den Globus auszudehnen, um gleichzeitig an zwei Orten zu sein. Aus Stelarcs Augen zucken Laserstrahlen, durch Sensoren werden Töne moduliert, ein Industrieroboter mit einer Kamera, gesteuert durch seine Muskeln, vollführt in gefährlicher Nähe einen Tanz, auf einer großen Videoprojektion - natürlich interaktiv beeinflußbar - verdoppelt sich die Szene und torkelt ein Phantomkörper. Ein Techno-Schamane vollzieht seinen Ritus. Und ein bißchen gefährlich muß es schon sein.

1993 war das Jahr, in dem Stelarc seinen Magen zum Ort eines Kunstwerks erhob, indem er eine "Magenskulptur" in sie einführte. Stelarc zeigt ein Video. Sechs Versuche und zwei Tage seien dafür notwendig gewesen. Ausgestattet mit einer kleinen Kamera fährt die Skulptur in seine Speiseröhre hinein, bis sich endlich der Magen öffnet. Für Ärzte ein wohlvertrauter Anblick. Dann muß der Magen aufgebläht werden, damit sich die Kapsel öffnen kann. Eine Leuchtkugel beginnt zu blinken, dazu piepst es synchron in seinem Inneren. Heikel sei es vor allem, die Kapsel wieder herauszubringen, die sich durch einen von außen gesteuerten Servomotor öffnet und wieder schließt. Erste Demonstration des hohlen Körpers, der keine Kunst mehr macht, sondern Kunst enthält. Und seit dem letzten Jahr arbeitet er an der Verbesserung des computergesteuerten Muskelstimulators, der es ermöglicht, daß man körperlich von einem anderen Geist oder von einem Computer bewegt wird. Das sei doch faszinierender, als nur an einem weit entfernten Ort telepräsent zu sein oder zu handeln, indem man mit Robotern, Kameras oder VR-Schlaufen verbunden ist.

Die Zukunft des Körpers

Stelarc ist ungeduldig, wie es sich für einen Angehörigen des Computerzeitalters gehört. Er wartet bereits auf die nächste Revolution. Die Nanotechnologie wird es ermöglichen, daß die Maschinen in die Eingeweide und Weichteile des Körpers einwandern, ihn dauerhaft bevölkern und ihn auf der zellulären Ebene neu gestalten. Dann endlich wird der Körper nicht mehr nur eine Schnittstelle mit äußeren Maschinen sein, sondern ein Wirt, der durch die Nano-Parasiten von innen heraus umgebaut wird.

Doch gibt es noch eine andere Perspektive zur Kolonialisierung des Körpers. Man verwandelt ihn in ein Bild. Zuerst steuert man nur einen virtuellen Phantomkörper. Möglicherweise werden die Bilder aber im elektronischen Raum immer intelligenter und autonomer, gewinnen sie ein Künstliches Leben und lösen sich von ihrem Ursprung.


Technologien sind bessere Unterstützungssysteme für das Leben der Bilder als für unsere Körper. Bilder sind unsterblich, Körper sind ephemer ... Menschlich zu sein bedeutet nicht mehr, in ein genetisches Gedächtnis eingetaucht zu sein, sondern in einem elektromagnetischen Feld von maschinellen Netzwerken rekonfiguriert zu werden - im Reich des Bildes.
Stelarc

Der Körper wird zur Maus, die Maus zum Cursor, der Cursor zu einem autonomen, intelligenten Virus in den Datenspeichern der vernetzten Computer. Und wir, noch immer gebunden an diese störungsanfällige und vergängliche Fleischmaschine, schauen gebannt und erscheckt dem Cyborg zu, der uns in die schöne, neue Welt der digitalen Engel führt. Mindestens eine halbe Stunde braucht Stelarc, um sich aus seiner High-Tech-Rüstung nach einer seiner Performances zu befreien. Noch ist die Verwandlung in einen Cyborg mühselig.


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