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Tanz die Postmoderne!

Wolfgang Neuhaus   07.10.98

Der Congress 3000 bei der berlin biennale

Vom 1.- 3. Oktober wurde mit einem Programmmarathon aus Lesungen, Diskussionen, Filmen die Eröffnung der Kunstschau begleitet. Was kann man sich unter einem  Congress 3000 schon vorstellen: von futurologischem Prognosenwahn über esoterischem Gaia-Kram bis zu einer lustigen Verarschung der Jahr 2000-Euphorie durch die Spaßguerilla. Doch nichts davon. Die Veranstalter zelebrierten einfach den postmodernen Ausverkauf der aktuellen Künste und mixten eine Prise Theorie in einen Partyevent.

Im Vorfeld der Veranstaltung wurde gemunkelt, daß der Kongreß ein weiteres Zeichen für das angebliche Ende der Postmoderne und den Beginn einer neuen Sinnverständigung in der Kunst setzen könne (ähnlich wie die letztjährige documenta mit ihrer schon schizophrenen Koexistenz von politisiertem Theoriediskurs und ästhetischer Banalität). Das Gegenteil war der Fall. Es scheint eher, daß die Postmoderne mit ihrem Leitbild des anything goes auch die Organisationsform bestimmt hat. Ein Kongress, der da begann, wo andere aufhören: um 18.00 öffnete das Haus der Kulturen der Welt seine Pforten, um sie nach einer langen Nacht wieder zu schließen. Zu sehen und zu hören war ein Schnelldurchlauf durch verschiedene Kunstformen, wobei die Darbietenden entweder aus Berlin kamen oder aber in ihren Arbeiten sich auf Berlin bezogen. Eine Leistungsschau also der Berliner Kunstszene? Daß ein derartiges Unterfangen auf natürliche Grenzen stößt, ist keine Überraschung. Und das zusammenhanglose Programm aus ein bißchen Literatur hier, ein bißchen Film dort, ein paar Installationen da, mag dem simplen Umstand geschuldet sein, daß die Szene nicht mehr hergegeben hat. Die Macher bemängelten das übrigens in der Vorbereitungsphase selbst.

Was soll man also davon halten, daß willkürlich literarische Lesungen, die einer anderen Rezeption bedürfen, an Performancespektakel und Podiumsdiskussionen gereiht werden, Zigarettenpause inbegriffen. Und es ging gar nicht um Szene-Literatur. Der Vortrag von solide gesponnenen Werken literarischer Newcomer (Karen Duve zum Beispiel) wurde unfreiwillig untermalt mit Dance Sounds aus dem Souterrain. Da wurde zusammengewürfelt, was nicht zusammenpaßt.

Unter dem etwas seltsamen Titel "Verschiedene Artikulationen, ähnliche Strategien" wurden am letzten Tag Chancen und Ursachen des künstlerischen "Crossover" diskutiert. Crossover als verbindendes Stichwort - das hört sich nach einer Alibiveranstaltung an. Allerdings blieb unklar, was eigentlich mit Crossover gemeint ist: daß Musiker auch Bilder malen beispielsweise, daß die Kunst sich verstärkt den Wissenschaften öffnet, daß in Zeiten der Globalisierung die Kulturkreise in engeren Kontakt treten ? All diese Problemaspekte wurden im Verlauf nur kurz angerissen.

Uscha Pohl, Galeristin und Verlegerin aus New York, eröffnete die Diskussion mit dem Statement, daß die technische Entwicklung es einzelnen ermögliche, verschiedene Bereiche kreativ zu bewältigen. Das public image, die (Selbst)Darstellung im Medienbereich, werde für Künstler immer wichtiger, einmal um Distanz zu wahren, andererseits um die (marktnotwendige) Abgrenzung zu vollziehen. Diese Aspekte, das eigene Medienbild als Selbstschutz und Marktprofilierung, wären sicher eine Diskussion wert gewesen - auch wenn es eine sehr amerikanischer Sichtweise ist, die ihre Warhol-Lektion gelernt hat -, aber in der fortlaufenden Diskussion wurde kein Bezug mehr darauf genommen. Wenn man überhaupt noch von einem auf Konsens zielenden Diskurs sprechen möchte.

Pipilotti Rist, eine (Selbstdarstellungs-)Künstlerin aus der Schweiz ("Pickel-Porno"), hat nur noch ein müdes Lächeln für die Kunst. In den letzten Jahren im Kunstbetrieb hochgeschossen, hat sie die Seiten gewechselt und arbeitet im Management des schweizerischen Expo-Vorhabens. Sie wetterte gegen die (Pseudo)Stilisierung der Kunstereignisse durch die Kritik, ihre Abgehobenheit. Der "erweiterte" Kunstbegriff geisterte im Raum. Vielleicht gab es doch Ansichten, auf die sich die Beteiligten gemeinsam einpendelten. Es gäbe zuviel Kommerz und zuwenig "Grundprinzipien" (Pohl). Die Faszination der Kunst gehe unter anderem aus ihrer Fähigkeit hervor, neue Dinge zu erforschen und ästhetische Dissidenzbewegungen zu erzeugen, wie Clementine Deliss, eine Kuratorin, die europaweit arbeitet, meinte. Kunst solle mit Werten wie Wissen, Ernsthaftigkeit, Menschenliebe verbunden werden (Rist). Ein verblüffend naives Statement angesichts der vielfältigen Verwertungsmechanismen der Kunst, aber vielleicht ein Indiz für den tatsächlichen Beginn einer neuen Sinnsuche.

"Die Revolution wird`s wohl geben, aber vorher brauchen wir eine Libertinage." lautete eine Aussage von Deliss. Das muß sich auch Jonathan Meese gedacht haben, der ein denkbar ungeeigneter Diskussionsteilnehmer war und jeden Anflug von Diskurs mit seinen Äußerungen ("Kinski ist sein eigener Urgott") unterlief, als er im Anschluß zu einem alten Song von DAF ("Tanz den Mussolini !") "Sei schön, jung und stark, sei Marquis de Sade" zum Besten gab - eine sich Performance nennende Posse, wie sie bei erhöhtem Alkoholpegel in der Berliner Trash-Subkultur gerne goutiert wird, die aber im Rahmen eines Festivals mit internationalem Anspruch einfach nur peinlich war.

Lustig wurde es dann doch noch. Christoph Schlingensief, der ungekrönte Meister des Polittrash-Films ("Das deutsche Kettensägenmassaker"), hatte ein Heimspiel, das den Saal gut füllte: seine Performance mit dem Titel "Abschied von Deutschland - Gibt es ein Leben nach der Politik ?". Die Neuigkeit ist, daß es seit Samstag, dem Tag der deutschen Einheit, den  Chance 2000 -Staat gibt, einen Staat ohne Territorium. Demnächst auch über Ihren Internet-Provider. Die Aufnahme in die UNO werde betrieben, Schlingensief ist schon wieder in Sachen Propaganda unterwegs - von wegen Abschied oder wie. "Es lohnt sich, für eine Idee zu kämpfen" verkündete er, erklärte jedem Widersacher den Krieg und packte zwei (echte ?) Tierkadaver aus einem Müllsack, die zukünftigen Wappentiere der Partei. Details im Programm sind, wie immer bei Schlingensief, Geschmacksfragen.

Man weiß nie so genau, ob die eingeladenen Gäste bei ihm nun eigentlich verscheißert werden oder sich willig einfügen in ein Spektakel, wo es eh' nicht darauf ankommt, daß die Gäste es merken. Der Systemtheoretiker Dirk Baecker war eingeladen und beglückte das verblüffte Publikum mit einem ernsten Kurzvortrag, in dem er dazu aufrief, Europa, Globalisierung und den Sozialstaat neu zu denken. Nein, liebes Publikum, der Vortrag war ernst gemeint. Bazon Brock wußte, wo er gelandet war, und erzählte eitel von seiner leidlich komischen Idee der "Republik der Toten", die er - da zehn Jahre alt - noch einmal ausgegraben hat. Sein Kurzschluß gegen alle Staatslogik: da wir alle sterblich sind, können wir einen kulturell wertvollen Beitrag leisten, indem wir uns zu Lebzeiten dieser Republik anschließen. Dieser Kalauer hätte im Reich totgeborener Ideen bleiben dürfen. Elfriede Jelinek guckte in ihrem Grußvideo sauertöpfisch und nahm die Chance 2000 etwas bierernst, da sie den Arbeitslosen eine Stimme geben würde usw. Volksmusiker traten auf, zwei Kinder, eins davon gehbehindert, verlasen die Menschenrechte mit Tanzeinlagen zwischendurch. "Heiner Müller" war übrigens nicht dabei.


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