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EXTENSION - die virtuelle Erweiterung der Hamburger Kunsthalle

   19.06.97

Auszüge aus einem Gespräch vom 17.6.1997 mit Frank Barth, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Galerie der Gegenwart, dem neuen Erweiterungsbau der Hamburger Kunsthalle. Anläßlich seiner Eröffnung am 23. Februar dieses Jahres schrieb das Museum einen Internet-Kunst-Preis aus. Die Einreichungsfrist für den Wettbewerb endet am 30. Juni.

Das Gespräch führte Cornelia Sollfrank, Künstlerin, Mitglied der Gruppen "Innen" und "Old Boys Network".

  Wie ist die Idee entstanden einen Preis für Internetkunst auszuschreiben?

  Frank Barth: Die Idee entstand aus der Frage, wie wir die Eröffnung der Galerie der Gegenwart öffentlichkeitswirksam betreiben können. Als eine der Werbemaßnahmen entschieden wir uns für den Internetkunstpreis. Das scheint auch Mode zu sein momentan. Ohne sich genau darüber im klaren zu sein, was der Untersuchungsgegenstand dieses Wettbewerbs eigentlich ist, wurde die Maßnahme beschlossen. Die Ausschreibung des Wettbewerbs zwang uns dann zu formulieren, worum es gehen sollte. Wir wollten nicht die schönste Homepage prämieren, sondern Arbeiten, die sich durch einen spezifischen Umgang mit dem Medium auszeichnen. Wir kamen auf die Frage nach der Materialästhetik von Kunst, die z.B. bei Kounellis, Merz oder Serra eine große Rolle spielt, und wie man diese Frage auf den Gegenstand Internet übertragen kann. Die Tatsache, daß die Sprache des Internets sehr metaphorisch ist, z.B. bei Homepage kommt sofort die Assoziation "Jägerzaun" oder die Metapher von den "digitalen Städten", hat uns dann bewogen, eine Abteilung der Galerie der Gegenwart im Internet zu konstituieren, eine EXTENSION.

  Und um Werke für diese Extension zu finden, hatten Sie die Idee, einen Wettbewerb zu veranstalten?

  Frank Barth: Ursprünglich sollte es ein Beitrag von Spiegel-online und Spiegel-special zur Eröffnung der Galerie der Gegenwart sein. Aber in dem Moment, als wir seriös auf diese Idee eingestiegen sind, war klar, daß das Projekt in der kurzen Zeit, die uns noch zur Verfügung stand, überhaupt nicht zu realisieren ist. Wir haben dann zur Eröffnung lediglich den Wettbewerb angekündigt, der jetzt, vier Monate später, zu Ende geht.

  Es wird also beim angekündigten Einsendeschluß vom 30.6. bleiben?

  Frank Barth: Ja, auf jeden Fall. Wir haben inzwischen sehr viele Anmeldungen. Nachdem es anfangs sehr schleppend ging, vervielfachen sich die Anmeldungen wöchentlich. Die Zahl liegt im Moment bei ca. 120 bis 140 Bewerbern und die Ausschreibung läuft noch zwei Wochen.

  Haben Sie so großen Zuspruch erwartet.

  Frank Barth: Wir haben uns das natürlich erhofft, aber wir waren uns nicht sicher über den Zuspruch. Und schließlich sagt die Anzahl der Bewerber noch nichts über die Qualität der Beiträge aus.

  Sind Sie denn sicher, daß das Mittel der Ausschreibung geeignet ist, die KünstlerInnen anzusprechen, die Sie erreichen möchten? Es existieren viele Vorurteile gegen diese Art von Preisen und es ist tatsächlich so, daß die formalen Bedingungen eines Wettbewerbs sehr beschränkend wirken. z.B. in Ihrem Fall die Auflage, das Projekt auf den Spiegel-Server überspielen zu müssen und die Datenmenge von 5 MB nicht zu überschreiten. Das schließt zum Beispiel alle infrastrukturbildenden Systeme, also Kontextsysteme, aus. Man kann ja das thing.net schlecht auf den Spiegel-Server überspielen.

  Frank Barth: Aber man kann diese Infrastruktur mit 5 MB darstellen, einfach nur das Konzept. Es muß nicht das komplette funktionierende System dargestellt werden. Der Hinweis darauf genügt. Ich hoffe, daß das einige Leute auch machen. Das ist die Frage, wie pfiffig man damit umgeht. Daß die Form des Wettbewerbs letzen Endes von manchen skeptisch betrachtet wird, das kann ich gut verstehen.

  Es ist ja auch nicht so klar, wer dahinter steckt, bzw. welche Einstellung zur Netzkunst dahintersteckt.

  Frank Barth: Doch, das weiß man ganz genau. Das geht aus der Ausschreibung klar hevor. Wir sagen das ganz deutlich.

  In der Ausschreibung sprechen Sie von Material und Gegenstand als geläufige Begriffe aus der bildenden Kunst, und daß in den eingereichten Arbeiten diese Begriffe auf das Internet übertragen werden sollen. Das verursacht leicht Mißverständnisse.

  Frank Barth: Genau. Deshalb haben wir uns entschieden, es so zu formulieren. Wer das nicht merkt ist selber schuld. Natürlich ist es weder Material noch Gegenstand im ursprünglichen Sinn. Aber die Sprache, das gesamte Vokabular im Zusammenhang mit dem Internet ist voller Metaphern, sogar teilweise ganz abgedroschenen Metaphern.

  Das mag so sein, aber das Problem ist doch, daß ein Künstler, der diese Ausschreibung liest, nicht weiß von welcher Position aus Sie das formulieren. Die Internetkunst wird total gehypt im Moment. Jedes x-beliebige Kaufhaus könnte sich als PR-Maßnahme so einen Wettbewerb ausdenken, und es würde ähnlich klingen. Natürlich wird jetzt in diesem Gespräch klar, daß Sie die Komplexität der Angelegenheit erfassen und sich ernsthafte Gedanken machen, wie Sie dem Phänomen Netzkunst gerecht werden können. Aber erstmal ist so eine Ausschreibung mißverständlich, und sie schreckt sicher viele der interessanten Netzkünstler davon ab, sich hier einzubringen.

  Frank Barth: Ich verstehe Ihre Kritk sehr gut. Vor allem in bezug auf die künstlerischen Pioniere im Netz, deren Zugang sicher alles andere als affirmativ ist und die in der Regel eher von einer subversiven Herangehensweise geprägt sind.

  Das stimmt nur teilweise. Inzwischen suchen viele dieser Pioniere auch nach einer Anerkennung für ihre Arbeit. Die ursprüngliche Verweigerungshaltung lockert sich, ist aber berechtigterweise von viel Skepsis begleitet. Das trifft auf die derzeitige Tendenz des Kunstbetriebes, der Netzkunst habhaft zu werden. Und ich sehe in der Form Ihrer Auschreibung das Problem, daß sich viele Netzkünstler darin gar nicht wiederfinden können und deshalb nichts beitragen. Um aber dem Phänomen Netzkunst gerecht zu werden, müßte ein möglichst breites Spektrum von Arbeitsansätzen vertreten sein.

  Frank Barth: Klar, das sehen wir auch so. Ich möchte Ihnen dazu aus unserer Presserklärung zitieren: "Ist das Internet als Ort für Veranstaltungen des traditionellen Museumsbetriebs geeignet?", "Wie kann die Verbindung zwischen virtuellen und materiellen künstlerischen Ideen und Objekten hergestellt werden?", "Was bedeutet Internet für die bildende Kunst?", "Was kann ein Museum angesichts des digitalen Scheins über sich selbst lernen? Diese Fragen umgrenzen den Bereich, den die teilnehmenden Künstler in ihren Beiträgen reflektieren sollen." Uns ist also hier völlig klar, daß wir letzten Endes auch immer uns selber befragen in diesem Zusammenhang. Und nur dann ist es sinnvoll. Wenn unsere Auseinandersetzung mit dem Internet unsere eigene Museumsarbeit, unseren Museumsbegriff tendenziell mitverändert. Ansonsten wäre es eine Sache, die man auch nicht weiterzuverfolgen bräuchte. Es hätte keinerlei Relevanz.

  Was aber in jedem Fall vom alten Prinzip der Museumsarbeit bleibt, ist doch das Verfahren, daß Sie, bzw. die Jury einige Projekte auswählen und diese dann der Öffentlichkeit als gute Internetkunst präsentieren. Sie definieren und die Medien werden das dankbar aufgreifen. Ihre Auswahl wird der Öffentlichkeit als gute Internetkunst verkauft.

  Frank Barth: Das ist aber grundsätzlich bei jeder Ausstellung der Fall. Die Begründungszusammenhänge, also wer ist wo und wie usw., die kann ich versuchen in ihrer Komplexität zu vermitteln, aber das kann immer kurzgeschlossen und falsch verstanden werden. Jede Ausstellung führt irgendwann eine ganz eigene Existenz. Trotzdem sind diese konzeptuellen und grundlegenden Gedanken das, was die Dinge verändert. Ich sehe darin die einzige Möglichkeit, so eine Institution wie ein Museum, am Leben zu halten. Sonst wäre es nur ein Korallenriff, mit dem, was an den Wänden hängt als Spitzen.

  Wovon hängt es ab, ob und wie sie Extension weiterbetreiben werden?

  Frank Barth: Das hängt nur vom Ergebnis des Wettbewerbs ab. Eine Möglichkeit wäre, die exemplarischen Arbeiten aus dem Wettbewerb, die prämiert wurden, auf unserer Homepage zu sammeln und zugänglich zu machen. Diese Arbeiten wären dann sozusagen der Grundstock und die Sammlungsschwerpunkte. Weiter könnte man dann so verfahren, daß wir uns Projekten annehmen, die wir über den Wettbewerb nicht erreichen konnten. Und anstatt unsere Homepage vollzustopfen, werden wir in Zukunft versuchen, über Links zu arbeiten.

  Wozu ist es nötig einzelne Projekte durch eine Preisvergabe und die Präsenz auf Ihrem Server hervorzuheben? Die meisten Arbeiten hängen sowieso im Netz und könnten doch von vorneherein einfach gelinkt werden.

  Frank Barth: So ganz ohne symbolischen Mehrwert geht es eben nicht. Außerdem sind wir da selber nicht so sicher. Wir sind keine Fachleute diesbezüglich. Das sind die Künstler, wie immer in der Kunst. Wir als Museumsleute sind in jeder Hinsicht auf die Künstler angwiesen. Aber Museum ist eben immer ein Ablagesystem, ein Archivsystem, ein Magazin, so sollte wenigstens aus symbolischen Gründen dieser repräsentative Grundstock, von dem aus wir dann weiterarbeiten, auf unserem Server liegen.

  Das wirft wieder die Frage auf, die für den ganzen Wettbewerb gilt. Es gibt zahlreiche Projekte, die sich für eine Ablage auf Ihrem Server überhaupt nicht eignen. Wie würden Sie z.B. mit einer Mailinglist verfahren, die als Kunstprojekt eingereicht wird?

  Frank Barth: Sollte sich herausstellen, daß so etwas dabei ist, dann würden wir dafür geeignete Möglichkeiten finden, es zu repräsentieren, z.B. durch Dokumentation.

  Ein Kennzeichen von Netzkunst ist ja, unter anderem, ihre Kurzlebigkeit. Es gibt Projekte, die sich täglich oder wöchentlich verändern. Sehen Sie eine Aufgabe von Museum darin, diese Projekte zu archivieren?

  Frank Barth: Dieses Phänomen gab es bereits vor der Netzkunst. Es ist ein Phänomen eines Kunstbegriffes, der sein Werk als ephemer begreift. Das gab es bei Fluxus, bei vielen Videoarbeiten und bei den meisten Performance-Arbeiten. Es macht genau den Reiz dieser Arbeiten aus, daß sie ephemer sind. Wie man diesen Arbeiten im einzelnen gerecht werden kann, wird sich erst durch die Arbeit damit entwickeln. Jedenfalls ist uns klar geworden, daß diese neue Abteilung nur dann sinnvoll funktionieren kann, wenn wir uns ihr sehr intensiv widmen.
Bisher sind wir noch auf dem Behördenserver, aber es wäre für uns sehr reizvoll, uns nach dem Wettbewerb in andere Zusammenhänge zu begeben. Der Zugang dazu sollte auch über diesen Wettbewerb laufen. Wir suchen mit dem Wettbewerb künstlerische Projekte, die das Phänomen Internet zum Gegenstand ihrer Arbeit gemacht haben.

  Vielen Dank für das Gespräch.


Anmeldung ist bis zum 30.6.1997 bei extension@spiegel.de möglich. Nähere Informationen gibt es auf der Website  http://www.spiegel.de/extension

Die Vorstellung der Preisträger ist für 13./14.9.1997 im Rahmen einer Veranstaltung zum Thema Internetkunst in der Galerie der Gegenwart vorgesehen.


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