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Website-Auktion: The Thing unter dem Hammer

Tilman Baumgärtel   12.05.99

Das alte Interface des New Yorker Internet-Projekts The Thing steht zum Verkauf bereit. Ein Interview mit Thing-Gründer Wolfgang Staehle über den Handel mit HTML-Seiten.

"Ich were diesen Server nicht in alle Ewigkeiten betreiben!"

Ausgerechnet bei  eBay mußte die alte Website von The Thing zum Verkauf angeboten werden: Das alte Interface von  The Thing war in der selben Woche zu ersteigern, in der das Internetauktionshaus fast täglich Negativschlagzeilen machte. Erst stand eine Gruppe von Programmierern zum Verkauf. Dann mußte eBay nach dem Massaker von Littleton den Verkauf von Waffen einstellen. Und dann erwarb ein 13jähriger Teenager aus New Jersey an einem Tag Waren im Wert von über drei Millionen Mark. Und nun stand auch noch eine Handvoll HTML-Seiten zum Verkauf. Der deutsche Künstler Wolfang Staehle, der seit sieben Jahren das New Yorker Netzprojekt The Thing betreibt, bot das erste  WWW-Interface bei eBay zum Verkauf an.

Es ist nicht das erste Mal, daß ein Künstler versucht, Netzkunst zu verkaufen. Die russiche Netzkünstlerin Olia Lialiana hat bereits im letzten Jahr versucht,  Käufer für Webprojekte zu finden - bisher ohne Erfolg... Doch auch jetzt muß die Kunstwelt immer noch auf einen Präzendenzfall warten. Die Site ist nicht verkauft, wie  ursprünglich gemeldet , obwohl ein Kurator vom Guggenheim-Museum knapp 2000 Mark für die Website geboten hat. Der Preis entsprach nicht der Mindestsumme, die Staehle für "The Thing" haben wollte. Im Interview erklärt der Deutsch-Amerikaner, was er mit seinem Angebot erreichen will.

  Warum wollen Sie die alte Site von The Thing verkaufen? Und warum ausgerechnet bei einer Online-Auktion, und nicht zu einem festen Preis.

  Wolfgang Staehle: Ich wollte wissen, ob die Kunstszene schon bereit für eCommerce ist. Sollten wir nicht mal die neuen Transaktionsmethoden ausprobieren, wo wir doch angeblich in einer post-industriellen Zeit leben? Aber tatsächlich bevorzugt die Kunstwelt es nach wie vor, Geschäfte auf die traditionelle Art und Weise abzuwickeln. Also verhandeln wir jetzt beim Essen.

  Was genau verkaufen Sie mit der Thing-Site? Gehören auch die Kunstprojekte, die auf der Sie zu finden sind, zum "Lieferumfang"? Und haben Sie die Künstler kontaktiert, bevor Sie die Website zum Verkauf angeboten haben?

  Wolfgang Staehle: Der Käufer erwirbt exklusiv das alte Thing-Interface und die Domain. Die Kunstprojekte sind nicht exklusiv. Ich finde es wichtig, daß das ganze Projekt in seinem ursprünglichen Kontext erhalten wird, und dadurch auch in der Zukunft Forschern und Historikern zugänglich ist. Man kauft im Grunde ein Stück Geschichte.

Da die Kunstwerke unendlich vervielfältigt werden können, ist es schwierig, für sie einen Preis festzusetzten. Wir sind deswegen selbst ein wenig unsicher, und die Unsicherheit hat Auswirkungen, denn natürlich wollen wir, daß die Kunst auf unserem Server bleibt. In einigen Fällen haben wir an den Projekten mitgearbeitet, und viel Zeit dafür aufgewendet, nur umdann dasselbe Projekt auf einem Server der Konkurrenz zu sehen.

Ich stelle mir vor, daß 50 Prozent des Verkaufserlöses an die Künstler, Redakteure und Schreiber gehen, und zwar in Form von neuen Aufträgen und Honoraren. Bis jetzt hat kein Künstler protestiert. Die Alternative wäre ganz einfach das allmähliche Veralten der Site, denn ich werden diesen Server nicht in alle Ewigkeiten betreiben.

  Bei Mailinglisten und im Usenet gibt es das Prinzip, daß einem "die eigenen Worte gehören". Woher nehemn Sie das Recht, die Postings von der Diskussionsliste und die The Thing zu verkaufen?

  Wolfgang Staehle: Das stimmt so nicht. Sehen Sie sich zum Beispiel die Vereinbarungen an, die getroffen werden, wenn man Rhizome abonniert. Und was ist mit dem nettime-Buch "Read Me"? Ist dafür irgendjemand bezahlt worden? Ist Ihnen das wichtig? Wir sind schließlich nicht Bertelsmann oder TimeWarner. Es ist einfach so, daß niemand, der für The Thing gearbeitet hat, dafür jemals Geld bekommen hat, und das muß sich ändern, sonst ist das Projekt nicht länger aufrechtzuerhalten. Darum suchen wir immer nach Geld, ob es nun Stipendien oder private Spenden sind, alles, was wir auftreiben können. Um damit so erfolgreich wie möglich zu sein, haben wir jetzt The Thing Inc. gegründet, eine Non-Profit-Firma, die The Thing und andere Projekte entwickeln und weiter betreiben soll.

  Ist die Summe, die Sie verlangen, angemessen? Wie ermittelt man denn überhaupt den richtigen Preis für eine Homepage?

  Wolfgang Staehle: Es gibt keine Vorbilder, darum ist es ein bißchen schwierig, den Wert zu bestimmen. Mir geht es vor allem darum, die Site in "guten Hände" zu hinterlassen. Und wenn es mit dem Verkauf rechtliche Schwierigkeiten geben sollte, dann kann ich mir auch vorstellen, eine Spende oder ein Stipendium oder wie immer man das nennen will, zu nehmen.

  Hätten Sie die Site auch verkauft, wenn niemand mehr als die ursprünglichen 100 Dollar geboten hätte?

  Wolfgang Staehle: No way, Jose!


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