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Schonungslos - die Medienfestivals graben das Kriegsbeil aus

Armin Medosch   03.09.98

Ars Electronica und ISEA 1998 stehen im Zeichen von Krieg, Terror und Revolution

Techno-Guerrilla-Underground-Hackerchic zieht sich schon seit einigen Jahren durch Modeblätter ebenso wie die Fetischseiten gewisser Printmagazine über das Digitalzeitalter.

Dank 68-98 haben auch die "ernsthaften" Medienkunstfestivals endlich das Thema aufgegriffen.

Revolution bei ISEA98

Schon das Programmheft spricht Bände über die Auffassung von Revolution, die bei ISEA98 in Liverpool und Manchester gepflegt wird. Es könnte genausogut eine Werbebroschüre für ein Bildbearbeitungsprogramm sein. Die Revolution von der hier die Rede ist, ist die "digitale Revolution", die von Wired als Markenname eingetragen wurde, die neonfarbene, die Wirtschaftswunderdinge versprechende, usw. . Die gegenkulturellen Werte der 68-er und die Power moderner Computer Hard- und Software begegnen sich und verändern - blablatrallala - die Welt.

Revolution bei ISEA98 ist die typisch englische Pop Art Variante, die sich über Konsumgüter vermittelt. Eine allzu wörtliche Interpretation des Themas ist da gar nicht gefragt. Wie das Gemunkel schon vor dem Event (aus höchst gut informierten Quellen) verrät, sind einige der wirklich kritischen Künstlerarbeiten in letzter Sekunde seitens der ISEA Organisation abgesagt worden.

Ebenfalls "kontroversiell" sind die fast schon "prohibitiv" zu nennenden Teilnahmegebühren - auch eingeladene Vortragende müssen zahlen - von in diesem Jahr satten 315 Pfund, also rund 1000.- DM.

Wie es scheint wird die ISEA Konferenz, die jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet, auch 1998 ihr Image nicht los: Ein akademischer Papiertiger, der sich diesmal mit einer Seifenblasenrevolution schmückt. Und die Diskussionen, die das "kontroversielle" Thema auslöst, drehen sich hauptsächlich um Eintrittspreise und andere organisatorische Probleme des Festivals.

Infowar

In  Linz nimmt man die Sache mit dem Info-Warfare schon ein wenig ernster. Zur thematischen Beratung hat man sich Professor Dr. Friedrich Kittler geholt, der ja schon immer gesagt hat, dass der Krieg die Mutter aller Kommunikationsmedien ist. Neues ist ihm dazu aber auch nicht eingefallen.

Die Teilnehmerliste der Konferenz liest sich wie ein kryptotechnoides Verschwörerkabinett: ein russischer Kolonel, verschiedene Künstler, Douglas Rushkoff, Paul Virilio (per Video), ein Vertreter der ökonomischen Sonderzonen Chinas...vielleicht noch eine mongolische Reiterschwadron und ein Massai-Häuptling?

Im Einleitungstext auf dem Programmheft hat sich Gefried Stocker offenbar Mühe gegeben, dem Kriegsthema eine kritische Note zu verleihen:

"Nicht der Orbit des technisch Imaginären wird im Vordergrund stehen, sondern die Fronten einer Gesellschaft, die sich in einem fundamentalen und gewaltsamen Umbruch befindet."

Das klingt zwar nach einer Verbesserung gegenüber dem Vorjahr (als das technisch Imaginäre im Vordergrund stand), doch die Parameter des "fundamentalen und gewaltsamen Umbruchs" bleiben im Dunkeln. Und warum überhaupt "gewaltsam"?

Wird mit einer solchen Themenstellung der Infowar prophezeit, ja geradezu heraufbeschworen, wie es Mark Amerika in seiner laufenden Kolumne  AOL Nr.9 kritisch und wortgewandt auseinandersetzt? Wie Amerika argumentiert, wird die Ökonomie zum Kriegsschauplatz erklärt. Und zwar nicht nur die Makroökonomie, in der Anlagenmanager und Währungsspekulanten an ihren festverdrahteten Terminals ganze Länder und Wirtschaftsräume in Grund und Boden spekulieren, sondern auch auf Mikro-Ebene der Individuen.

"Die geographischen Grenzen des Industriezeitalters werden zunehmend vertikalen Fronten entlang sozialer Schichten weichen", heißt es an anderer Stelle im Einleitungstext von G.Stocker. Ist damit also der Krieg zwischen Arm und Reich gemeint, zwischen mir und dir, oder gar zwischen mir und mir: Zwischen den Sachzwängen des ökonomischen Überlebenskampfes und den Wünschen, Träumen und Idealvorstellungen sonniger Sonntagnachmittage? Das Ellbogengerangel um Positionen, Ämter, Einfluß, das gerade in der Kunstwelt oft unnötig blutigen Ernst annimmt, wobei es um kaum etwas geht, darum aber umso erbitterter gefochten wird?

 "In Elektronengewittern" nennt Frank Hartmann seine Polemik über das Ars Electronica Festivalthema und macht mit dieser Titelwahl augenzwinkernd Friedrich Kittler zu einem neuen Ernst Jünger. Auch hier ist das Schlachtfeld der Bildschirm, oder genauer noch, das Gehirn des Users: Die Ökonomie des Informationszeitalters als Privatkrieg auf individueller Ebene.

Hartmann verweist auf den Zynismus, der in der Themenwahl steckt und leitet zu dem über, was auf die informationell ausgefochtenen Mikrokriege folgt: Den wirklichen Krieg.

In einem langen und informativen  Essay klären Ingo Ruhmann und Ute Bernhardt, beide Mitglieder des Forums InformatikerInnen für Frieden und soziale Verantwortung, über den tatsächlichen Infowarfare in den Köpfen und Planungen amerikanischer Generäle und Geheimdienstler auf.

Und wer damit noch nicht genug hat, kann anhand von Schnipseln aus der laufenden Berichterstattung (siehe Linkliste auf der Infowar-Übersichtsseite) von Telepolis einige der Cyber- und Infokriege der letzten Monate wieder in Erinnerung rufen. Ein Puzzle fügt sich zusammen, wie eine arrogant gewordene und sich einsam fühlende Supermacht wie die USA, die nach dem Dahinscheiden der Sowjetunion keinen echten Gegner mehr hat, flugs neue erfindet - das internationale Netz des islamischen Terrorismus, verkörpert durch Osama bin Laden.

Schaudern. Ein böser Gedanke baut sich auf. Ist der Begriff "Informationsgesellschaft" vielleicht ein Synonym für die allgemeine und permanente Mobilmachung? Cyberwarfare gegen die islamischen Terroristen, gegen die Cybermafia, gegen jugendliche Hacker, gegen oder für Monica Lewinsky, gegen oder für Microsoft, Kryptosoftware, Patentrechte, Goldgräberclaims?

Die Mobilmachung erfolgt nicht nur in der Sphäre der informationsverarbeitenden Maschinen und der sie verbindenden Netzwerke allein, sondern dehnt sich praktisch auf alle gesellschaftlichen Sphären aus: Die Sprache der Wirtschaftsberichterstattung in Leitmedien wie der Financial Times ist eine Sprache der Kriegsberichterstattung. Die gängige Mode der wichtigsten Freizeitlabels ist von Uniformen und Camouflage-Mustern bestimmt. Der von der Technoszene ausgelöste Trend zur Uniform hat es bis auf die Ebene der teuersten Modehäuser geschafft: Patronengürtel und Waffenholster am D&G Bikini-Top; und dazu das Mobiltelefon integriert im Sonnenbrillenbügel von Bausch&Lomb.

Der Information Warfare ist ein Low-Key Warfare, ein Krieg, der auf permanenter Sparflamme geführt werden kann, ohne daß es die Mehrheit der Erdbevölkerung zunächst überhaupt merkt. Diese These steht bereits im tonangebenden RAND-Paper  Cyberwar is coming von 1993. In Abwandlung dessen und eines altbekannten Spruchs ließe sich sagen:

"Stell dir vor es ist InfoWar und keiner hats gemerkt."

Oder "keiner geht hin". Aber zu Hause bleiben hilft ja nichts mehr, denn der Krieg ist ja nun auf jedem mit dem Internet verbundenen Rechner. Und so läßt sich nur eine Schlußfolgerung ziehen: Wir brauchen keine hochgepowerte Infowar-Rhetorik. Was wir bräuchten, wäre eine Demilitarisierung der Informationssphäre, aber auch eine Demilitarisierung der Sprache im Medienalltag, im Wirtschaftsleben und in der Politik. Eine deutlich pazifistische und zivil ausgerichtete Politik, die der kriegstreiberischen Stimmung, die vor allem aus den USA herüberweht, ob nun aus dem Department of Defense oder aus der Internetwirtschaftskriegsberichterstattung, mit allen Mitteln entgegenarbeitet.

Wenn das das Ziel von Ars Electronica oder ISEA98 wäre, so ließe sich ein gewisser Sinn in der Festivalthemenstellung erkennen. Doch Pazifismus ist scheinbar out. Affirmatives, pseudosubversives Gemurmel, dem jede politische Agenda längst abhanden gekommen ist, scheint leider den Zeitgeist der neunziger zu bestimmen.

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