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Adieu Netzkunst

Armin Medosch   01.07.1999

Programmänderung: Die Vorhut der Netzkunst hat das Terrain bereits wieder verlassen

In den letzten Wochen und Monaten tröpfelten die Nachrichten, verbreitet via Email auf einschlägigen Mailinglists, auf den Bildschirm. In einem erstaunlichen Prozess der raschen Neupositionierung scheinen sich einige Schlüsselpersonen der Netzkunst, oder präziser net.art, vom eben erkämpften Terrain bereits wieder verabschiedet zu haben.

 Vuk Cosic [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6157/1.html], einer der wortgewaltigsten Verfechter von net.art, macht jetzt in ASCII.  Alexej Shulgin [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6167/1.html], der stille Russe mit den tiefen Denkfalten, ist plötzlich zum Musiker geworden. Berufsstörenfried  Heath Bunting [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6175/1.html] und Kollegin  Rachel Baker [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6167/1.html] erklären das Internet für uninteressant und kämpfen fürderhin auf dem Gebiet der Biotechnologie gegen Großkonzerne und für die gerechte Sache. Was ist geschehen, ist der kurze Sommer der net.art vorüber, diese etwa sogar, man wagt es kaum auszusprechen, einen frühen Tod gestorben?

Spekulationen über das Ende von etwas anzustellen, das noch gar nicht richtig begonnen hat, bedeutet natürlich, die falsche Frage zu stellen. Zunächst muß betont werden, daß die unter net.art subsumierten Künstler nie identisch mit dem Feld der Netzkunst waren, sondern innerhalb dessen eine bestimmte Gruppe darstellten. Ihr kommunikativ vernetzter Arbeitsansatz und die diskursive Hegemonialmacht, welche mit Nettime assoziierte Schreiber und Juroren eine Zeit lang genossen haben, mögen ein Grund dafür gewesen sein, daß die Gruppe Bunting-Baker-Cosic-Jodi-Lialina-Shulgin bei Festivals, Ausstellungen und Symposien in Europa überproportional repräsentiert gewesen sind. Ein anderer Grund mag die Netzunerfahrenheit von Veranstaltern und Kuratoren alteingesessener Institutionen sein. Wenn es schon einmal eine leicht identifizierbare Gruppe gibt, warum diese nicht gleich im Paket einladen - und das immer wieder und wieder und wieder...

Dieses repetitive Verhalten gering informierter Veranstalter ist natürlich nichts neues, sondern geradezu ein klassisches Beispiel für funktionierendes Branding am Kunstmarkt unter kapitalistischen Verhältnissen. Allerdings kann dieses Argument nicht gegen die Künstler gerichtet werden. Sie taten ja bloß, was sie tun mussten, und das zugegebenermaßen nicht schlecht. Ob als Refresh-Loop oder unter  Irational.org [http://www.irational.org], am ständig sich wandelnden  Jodi.org [http://www.jodi.org] oder am nonchalant bespielten  easylife [http://www.easylife.org], hier wurden grundsätzliche Möglichkeiten der Arbeit mit dem Material Netz durchgetestet.

Was ist geschehen

Wenn dieses Durchtesten der Eignung netzspezifischer Eigenschaften für zeitgenössisches Kunstschaffen nach drei bis vier Jahren allerdings schon wieder langweilig geworden sein soll, dann beschreibt das zumindest ein Phänomen, hinter dem zunächst mal ein großes Fragezeichen steht: Was ist geschehen?

Ist bloß Erschlaffung über ein gewisses Diskursfeld eingetreten? Bringt uns die Frage, was ist Netzkunst, nun kollektiv zum Gähnen? Oder ist das Netz nun gar ein so feindselig kommerzielles Environment geworden, daß Kunst dort gar nicht mehr möglich ist. Oder haben sich bloß einige der Spieler von dem Feld verabschiedet und spielen nun woanders weiter?

Die neuen Projekte der ehemaligen Task Force net.art sind für sich genommen keineswegs schlecht oder uninteressant.
Vuk Cosic hat sich zu einer grundsätzlichen und recht umfassenden Auslotung der Möglichkeiten von  ascii.art [http://www.vuk.org/ascii/] entschlossen. ASCII-Live-Streaming im RealVideo-Fenster, ASCII als Musikvideo publiziert mittels Vinyl-Video, ASCII austtellungstauglich im analogen Kunstraum.
 Alexej Shulgin [http://www.easylife.org/386dx/index.html] vergnügt sich mit den Möglichkeiten, welche die CreativeLabs Software für die Soundblaster-Karte bietet und läßt Computerstimmen und internen Midi-Sequenzer bekannte Hits nachspielen und -singen, von "Come on Baby Light my Fire" bis zu "Smells Like Teen Spirit". Das ist unterhaltsam nicht nur für ihn, und bringt ihm zahlreiche Live-Gigs in Clubs ein.
Bunting und Baker bekämpfen immer noch die Großkonzerne, nun aber nicht mehr auf dem Gebiet der Marketingmacht und des Data-Mining, wie noch zu  "ClubCard" [http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6167/1.html]-Zeiten, sondern auf dem Gebiet der Biotechnologie. Und wer würde nicht zustimmen, daß Biotechnologie die Technologie der Zukunft ist und daß sich wichtige soziale Kämpfe auf diesem Feld ereignen (siehe  www.irational.org/ [http://www.irational.org/], klick "Hobby Biotechnologist").
Bloß Jodi bringen noch wie eh und jeh die Browserfenster zum Wackeln - derzeit recht heftig (Vorsicht, wenn Sie  das [http://www.jodi.org] zu Hause testen, die Dinger nerven diesmal wirklich) - und Olia Lialina betreibt weiterhin die Online-Gallerie  Teleportacia [http://www.teleportacia.org] und hat jüngst eine eigene Arbeit verkauft.

Aber selbst  ETOY [http://www.etoy.com], die zwar nie zum Kreis der net.artists zählten, sicherlich aber zur ersten Generation der Mitneunziger-Netzkünstler, haben erst heute angekündigt, daß der physische Standort Wien endgültig aufgegeben wird und ETOY in die posthumane Phase eingetreten sind und von nun an nur mehr als Netz-Agenten existieren. Die Kampagnen von ETOY, welche kapitalistische Branding-Strategien und die von Wagnis-Kapital angetriebene Internet-Börsen-Blase zynisch und lustvoll paraphrasieren, bringen die Sache möglicherweise auf den Punkt: Die Frage, mit der die Netzkunst steht oder fällt, ist eine Frage des Marktes. Und die muß gleich mehrfach gestellt werden.

Gibt es in den gegebenen Strukturen einen Markt für Netzkünstler, der ihnen für ihre Tätigkeit ein lebensfähiges Einkommen sichert? Auch wenn es immer öfter Berichte von Verkäufen von Netzkunst gibt und wenn mehr und mehr Institutionen beginnen, ihre Claims im Netzkunstbereich abzustecken, so fällt die Antwort wohl immer noch negativ aus.

Eine Variation der Frage ist, ob sich mit Netzkunst noch genügend symbolisches Kapital erwirtschaften läßt, um sozusagen auf dem Weg der Umwegrentabilität zumindest über Lehrstühle, Einladungen zu Festivals und Konferenzen, etc., ein akzeptables Einkommen zu erzielen, wobei zugleich genügend Zeit für eigene Arbeiten bleibt? Zieht man den derzeitigen Trend in Betracht, daß mit bereits erwähnten Einschränkungen als solche bezeichnete Schlüsselpersonen nun auf verwandte oder angrenzende Gebiete ausweichen, bzw. ihre Karriere "diversifizieren", dann ist auch die Antwort darauf zumindest teilweise negativ. Manche profitieren im wirklichen Leben von ihrer Netzwerkpräsenz mehr, andere weniger.

Und was könnten die Ursachen dafür sein? Schließlich bezweifelt niemand, daß das Internetzeitalter gerade erst begonnen hat, daß die Zuwachsraten an neuen Nutzern weiterhin enorm sein werden. Genug hyperinflationäres Spekulationskapital läge also in der Luft. So kann nur ein Verdacht ausgesprochen werden: Vielleicht ist der Netzkunstdiskurs langweilig geworden, weil es gar nicht genug Diskurs gibt, im Sinne spannender, informierter Debatten. Die Künstler sind dafür am wenigsten zu beschuldigen, sondern eher die Kuratoren, Kritiker, Institutionen. Sie haben es bisher nicht geschafft, einen Rahmen aufzubauen, in dem Netzkunst gedeihen könnte und schließlich auch Käufer finden würde. Und wenn die Herausforderungen von außen fehlen, dann bewegt man sich eben weiter und sucht sich diese woanders.


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