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Mongrel Media: Die Bastarde der Medienkunst

Armin Medosch   10.02.99

Das Projekt National Heritage zieht dem liberalistischen Kunstdiskurs den faulen Zahn.

Wenn man sich die Diskurse über Medienkunst ansieht und insbesondere z.B. den deutschsprachigen Kontext mit dem anglo-amerikanischem vergleicht, so fällt auf, daß in Deutschland meist die Technologie im Mittelpunkt steht, während in England oder USA der soziale Umgang mit Technologie betont wird, wobei, sicherlich nicht unbeeinflußt von Cultural Studies, Kategorien wie Geschlecht oder Rasse eine große Beachtung finden. Eine Gruppe, die solche Unterteilungen zugleich stützt, um sie im nächsten Moment wieder zu sprengen, sind Mongrel Media aus London, oder um genau zu sein, Süd-London.

Die Gruppe, die so ziemlich alle Hautfarben dieser Welt in ihren Reihen aufzuweisen hat, unterscheidet sich vom politisch korrekten Diskurs der Cultural Studies wohltuend durch ihre zur Schau getragene, beabsichtigte "Unkorrektheit". Mongrel reden so wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und versäumen keine Gelegenheit, ihren "Klassenfeinden" eines auszuwischen. Dabei thematisieren sie, neben der Rassenthematik, vor allem auch das Klassensystem. So funktionieren Mongrel (oder möchten zumindest den Eindruck erwecken) eher wie eine Hip Hop Street Gang denn wie eine auf Erfolg polierte Künstlergruppe.

Zugleich benutzen sie auch das Erscheinungsbild und den sprachlichen Gestus von Internet-Softwarefirmen, indem sie z.B. die Bildebearbeitungssoftware  "National Heritage Gold" zum freien Download anbieten. Allein im letzten Jahr haben Mongrel Media Software geschrieben, ein Spiel programmiert, eine Suchmaschine plus eigener Inhaltsumgebung geschaffen und eine Zeitschrift und Posterserie herausgegeben. Dabei wechseln sie behende zwischen Kunst, Neue Medien Business, Strassenaktivismus. Diese Nichtfestlegbarkeit ermöglicht es ihnen zwar, neue Räume aufzustoßen, setzt sie aber auch der Gefahr aus, Kritik von allen Seiten auf sich zu ziehen, da sich ihre Softwares weder wirklich verkaufen lassen, noch ihre Kunst den "Reinheitsfilter" eingebaut hat, um ihre Arbeit klar inhaltlich und kontextuell abzugrenzen, wie es für den Kunstbetrieb nötig wäre.

Währen sie nicht so sperrig und mit anarchischem Humor reichlich gesegnet - wie jüngst ein Talk-Show Host von Sky TV erleben mußte, der fast jedes zweite Wort durch Piep-Töne ersetzen mußte, um das Programm Murdoch-gefällig zu machen - so könnten sie beinahe ein ideales Rollenmodell für Blairs Cool Britannia abgeben. Doch ist letzteres eine unfaire und polemische Unterstellung. Denn angesiedelt sind Mongrel in den suburbanen gesichtslosen Reihenhauswüsten Südlondons, wohin blairitische Trendscouts sicher nie einen Fuss setzen würden.

Obwohl Mongrel reichlich weiche Stellen für Kritik anbieten, könnte diese sehr London-typische Konstellation genau das sein, was die in technologischem Determinismus, selbstreflektivem und selbstgefälligem Neue Medien Theorie-Duktus erstarrte kontinentale Medienkunstszene als aufrüttelndes Element heute braucht.

Mongrels Geschichte begann in der Nord-Londoner Bildungsinstitution Artec, die Langzeitarbeitslosen IT-Fähigkeiten beibringt. Dort unterrichtete Graham Harwood und traf auf seine heutigen Mitstreiterinnen Matsuko Yokokoji und Richard Pierre-Davis, die gemeinsam mit Harwood den Kern der Gruppe bilden. Zum engeren Umfeld zählen auch Mervin Jarman und Matthew Fuller.

  Wie seid ihr zusammengekommen?

  Mongrel: (Graham) Es ist leichter darüber zu sprechen, woraus sich Mongrel entwickelte, als wie wir uns trafen. Ich machte gerade Rehearsal of Memory, das war die Arbeit, die ich vor dieser gemacht habe. Die Sache verhielt sich so, daß es überarbeitet werden mußte. Ich arbeitete mit diesen beiden (Mervin und Richard) und es gab nichts dazu im Internet. Als wir den Netzzugang bekamen, arbeiteten wir alle zusammen, unter dem Ausgangspunkt, daß ich der Lehrer sei, aber so läuft es nicht. Richard tat Dinge wie Bookmarks von extrem rechten Sites auf anderer Leute Rechner zu legen, um sie am nächsten Morgen zu ärgern. Er begann auch herumzuerzählen, daß er diese extrem rechten Sites re-designen würde. Es gab eine Menge an Diskussionen, wozu die Technologie benutzt werden konnte. Schließlich half mir Richard bei der Überarbeitung von Rehearsal of Memories für die Publikation. Es gab viele Probleme zwischen Matsuko und mir, weil wir kulturell so verschieden sind. Da war es wirklich gut, mit Mervin und Richard über diese Probleme reden zu können, über diese Unterschiede. Für mich kommt Mongrel also daher.

(Matsuko) Mongrel entstand gemeinsam zwischen dir und Richard und Hiasis. Dann fiel uns auf, daß wir die Hautfarben weiss, gelb und braun hatten. Richard ist gemischt, seine Mutter ist Inderin und Hiasis ist schwarz. Da realisierten wir also, daß wir vier Farben hatten, daß wir damit etwas tun konnten, das war National Heritage und dann starteten wir Mongrel.

  Das Wort Mongrel, wie es ursprünglich benutzt wurde, hat eine rassistische Bedeutung.

  Mongrel: (Mervin) Ja, Mongrel bedeutet Mischling, keine reine Rasse, keine Purheit und keine Insignien.

  Ihr benutzt aber nun diesen Namen.

  Mongrel: (Mervin) Weil er das bezeichnet, was wir sind, Bastarde.

(Richard) Matsuko's Herkunft ist 100% japanisch, Graham ist halb englisch, halb irisch, und ein ganzer Dreckskerl und Mervin ist Jamaikaner.

(Mervin) Jamaikaner können beschrieben werden als Mischung aller Rassen dieser Welt. Wir sind eine Mischung aus jedem blutigen Ding, das es gibt, daher kommt unser besonderes Flair.

(Richard) Und alles was nicht jamaikanisch ist, das bin ich.

(Graham) Das sind blos ihre üblichen Insel-Kämpfe.

(Richard) Ja, denn Jamaika ist zugleich die größte und die kleinste Insel in der Karibik.

(Graham) Den Kern von Mongrel bilden drei Leute, das bin ich, Matsuko und Richard. Wir organisieren und steuern. Dann arbeiten wir auch noch mit anderen Leuten zusammen. Mervin ist einer der Kollaborationspartner, er arbeitet mit Mongrel an verschiedenen Projekten und berät uns. Er wußte von National Heritage seitdem es begann aber er stieg nicht recht ein, bevor er die Suchmaschine programmierte. Wir fragten ihn aber die ganze Zeit, "was hältst du davon".

  Mongrel gab es aber schon vor dem Suchmaschinenprojekt?

  Mongrel: (Matsuko) Oh ja, Mongrel begann mit National Heritage.

(Mervin) Mongrel die Firma begann mit National Heritage, Mongrel das Konzept gab es schon viel früher. Es begann zu der Zeit, als wir uns bei Artec trafen. Wir sprachen darüber, was wir nach Artec tun würden. Wenn ich ein Projekt verwirklichen möchte, dann muss ich mit anderen Leuten zusammenarbeiten und Richard und Graham waren die Leute, mit denen ich damals am engsten zusammenarbeitete. Deshalb gründeten wir Mongrel als eine Plattform für Zusammenarbeit. Der Begriff fluktuierte also schon seit einiger Zeit, aber die Firma gründeten wir erst für National Heritage, da wurde es ernst.

(Graham) Bei Artec gab es keine Plattform für die Langzeitarbeitslosen, um eine Möglichkeit zu finden, sich tatsächlich ausdrücken zu können. Sie konnten losgehen und einen Job finden, das ist auch schon was. Aber die meisten Leute oder zumindest die Hälfte der Leute dort wollten etwas verwirklichen, etwas, das von ihnen selbst stammte und das sie veröffentlichen konnten um den Leuten zu zeigen, was sie wirklich für interessant und nützlich hielten. Es gab keine Möglichkeit das zu tun, wenn man in Grossbritannien aus einem Working-Class-Background kommt. Als sich Rehearsal of Memory als erfolgreich erwies, bedeutete das, daß ich plötzlich einen Namen hatte. Also beschlossen wir, darauf aufzubauen. Deshalb verkürzten wir den Namen auf Harwood, anstatt Graham Harwood, denn es sollte mehr nach einer Sache klingen. Damit konnten wir dann Gelder beantragen und mit dem Geld das umsetzen, was wir wirklich tun wollten. Damals dachte ich, wir könnten das von innerhalb Artecs heraus machen. Doch es kam anders.

(Richard) Wir versuchten Mongrel gemeinsam mit Ex-Studenten von Artec zu formulieren. Es gab aber soviel Politik und Scheisse, daß wir es wieder bleiben ließen. Dann entschieden wir uns, das Projekt National Heritage zu verwirklichen und so kam alles zusammen und entwickelte sich weiter.

National Heritage

  Was war National Heritage also am Anfang?

  Mongrel: (Richard) Am Anfang war es nur ein Name für eine Projektidee. Die Natural Selection Search Engine ist nur ein Teil davon. Es gibt verschiedene Sektionen. Die Idee war also, daß wir ein Projekt um den Gebrauch von digitalen Bildern aufbauen wollten. Wir machten Fotos von all unseren Freunden und Familienmitgliedern und begannen die Unterschiede zu erforschen.

(Graham) Ihr erinnert euch an diese Regierungsabteilung, das war der Hauptgrund, warum wir mit National Heritage anfingen. Zu dieser Zeit gab es eine Regierungsabteilung mit dem Namen National Heritage. Sie waren für die Verteilung der Gelder an das Arts Council und an alle anderen Fördereinrichtungen zuständig. Wir sammelten möglichst viele Informationen über diese Abteilung und fanden heraus, daß 76% aller Gelder an die AB-Klassen gehen, also das obere Ende der Gesellschaft. Und der ganze Rest der Gesellschaft, der das eigentlich finanziert, bekommt nichts. Wir fuhren also mit unseren Recherchen zum Thema National Heritage fort. Eine Sache die dabei herauskam war, daß wir, weil wir so verschiedener Abstammung sind, mehr darüber lernen wollten, worin die Verschiedenheit nun besteht. Wir fühlten uns mit der Identitätspolitik nicht wohl, in die wir alle hineingesteckt wurden. Auf den ganzen Formularen, die man ausfüllen muß, muß man immer angeben, von welcher Rasse man ist. Da wir gerade dabei waren, Freunde zu werden, gab es eine Menge Diskussionen. Bei National Heritage ging es also vor allem um diese Debatte und darum, sich durch die Unterschiede zu arbeiten, welche dazu führen, daß Menschen dieser rassisch begründeten Zuordnung einwilligen. Darauf wollten wir uns konzentrieren, als einen Weg, über diese Dinge nachzudenken und andere auch in dieses Nachdenken mit hineinzuziehen.

Vom Rassismus in der Kunst

  Es gibt also zwei Themen, das eine ist Rasse, das andere Kulturpolitik und ihr kombiniert das noch mit einem Schuß Technologie

  Mongrel: (Graham) Nein, anders. Ein Thema ist, daß die Leute in den Kunstinstitutionen sagen, sie wären keine Rassisten. Deshalb wollten wir da hineingehen und eine Installation machen, die es klar macht, daß es sich bei diesen Institutionen um eine im Kern rassistische Konstellation handelt. Die Tate Gallery ist von Tate und Co., von Sklavenhaltern. Sie ist an einem Ort gebaut, an dem die Leibeigenen lebten, also weisse Sklaven. Die Verbindungen zwischen Sklaverei und Kunst sind vollkommen. Nicht allein zwischen Kunst und Sklaverei, sondern auch z.B., wenn es einen großen Aufstand gab, dann wurde danach an der Stelle immer ein Kunstwerk hingesetzt. Wenn man eine Problemzone in der Stadt hat, was macht man normalerweise, man geht hin und benutzt Kunst, um zu versuchen, die Probleme zu zerstreuen. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit bestand also darin, die Diskussion über dieses Thema zu eröffnen. Ich hatte es auch satt, wie die Arbeiterklasse immer als die am meisten rassistischen Leute bezeichnet werden, bloß weil sie damit rauskommen und Dinge beim Namen nennen. Meinen Erfahrungen nach sind sie aber auch die, die anderen Rassen am nächsten sind, die miteinander auskommen müssen, miteinander schlafen, das heisst sie produzieren Kinder und lieben einander, während die Mittelklasse sagt "wir sind keine Rassisten" und dann aber geben sie keinem Schwarzen einen Job.

  Mein Eindruck von eurer Broschüre ist, daß ihr nach Polarisierung trachtet. Ihr habt gerade davon gesprochen, daß es diese sehr verbreitete Auffassung gibt, daß es in der Kunstszene keinen Rassismus gibt, daß alle Teil derselben intellektuellen Elite sind und so weiter, doch ihr schließt euch dieser Auffassung nicht an. Ihr wollt die Unterschiede herausstellen, ist das korrekt?

  Mongrel: (Mervin) Könnte man vielleicht sagen. Meiner Interpretation nach geht es aber weniger um Polarisierung, als um Bewußtsein. Die normalen Leute sind sich dessen bewußt, daß es Rassismus gibt, und wir anerkennen das, wir leben damit. Wir lieben die Vielfalt und Verschiedenheit. Es gibt weisse und schwarze Pärchen, indische und chinesische, in der Arbeiterklasse spielt sich diese große Durchmischung der Rassen ab. Polarisierung ist also nicht das Wort, sondern Bewußtsein, eine Art geschärftes Bewußtsein. Die Oberschichten müssen dieses geschärfte Bewusstsein erst entwickeln, sie behaupten, "nein, wir sind keine Rassisten, alles ist in Ordnung". Unsere Bilder und die Dokumentation zeigen auf diese marginalisierten Oberschichten und sagen, "es gibt Rassismus, anerkennt dessen Existenz", damit wir damit umgehen können, anstatt es zu verstecken zu versuchen. Während die Arbeiterklasse das National Heritage Project mit offenen Armen willkommen geheissen hat, fühlte sich wiederum nur die marginalisierte Oberschicht davon angegriffen. Wir wollen allerdings keie Unterrichtsstunden geben sondern sagen bloß, "da ist es, was denkt ihr darüber".

(Graham) Für uns ist es nun leichter zu verstehen, warum wir mit diesen überlebten Modellen nichts anfangen konnten, als wir mit diesen ganzen Chancengleichheits-Dingen konfrontiert wurden. Mervin würde Sachen sagen wie, daß er Engländer ist, wenn er sich Fußball ansieht, Jamaikaner beim Cricket, und was immer es zu sein benötigt, wenn er den Bank-Manager trifft. Dahinter steht die Idee des Gleitens, daß man keine festgelegte Identität hat. Ich bin in den sechziger Jahren aufgewachsen und mein bester Freund war schwarz. Daher kam ich mit dem ganzen Ska-Zeug in Berührung, mit dem ganzen Skinhead-Zeug, all das ist Teil von mir, dem kann ich nicht entkommen.

(Matsuko) In Japan ist die Sprache und auch die Kultur sehr verschieden. In England, wenn man "ich" sagt, dann meint man "ich". In Japan haben wir zehn oder 20 verschiedene Möglichkeiten, um "ich" auszudrücken. Offiziell gibt es vielleicht zwei oder drei, aber in der gesprochenen Sprache verwendet man ein anderes Wort, je nachdem, ob man eine Frau ist, oder Kinder hat, oder alt ist. Wenn man mit seinem Boss spricht oder mit älteren Menschen oder mit seinen Eltern, dann gibt es einen anderen Ausdruck, man verändert auch sein Gesicht, die Art, wie man sich benimmt. Das ist die Geschichte der verschiedenen Gesichter, daher kommen Matsukoīs Ideen, weil ich aus Japan bin und ein gelbes Gesicht habe, ich könnte aber auch englisch sein. Hier zu leben bedeutet für mich oft, eine weisse Maske zu tragen. Und dann lernte ich Richard und Mervin kennen und jetzt kann ich auch eine schwarze Maske tragen.

(Graham) Es stimmt nicht, daß Rassismus nur auf der Hautfarbe beruht. Auch die Iren haben den englischen Rassismus zu spüren bekommen. Ich denke, daß es einen Prozess der Rassifizierung gibt, der zu der gegenwärtigen Idee von Rassismus geführt hat. Aber es gibt auch Nationalismus, der auf einer anderen Ebene funktioniert und es gibt die sozialen Klassen. Man hat also diese drei Dinge, die alle miteinander verbunden sind. Es gibt keine einfachen Antworten darauf, warum die Leute einander hassen oder lieben oder miteinander schlafen und Kinder machen, oder keine Kinder und bloß Sex miteinander haben und wie sie miteinander auskommen. Zu all dem gibt es keine einfachen Antworten und es gibt dabei ebensoviel Spaß wie Härten.

(Matsuko) In Japan beruht Rassismus nicht auf Hautfarbe, denn er richtet sich vor allem gegen Chinesen und Koreaner und diese haben wie wir gelbe Gesichter.

(Graham) Unser Projekt ist gegen die Idee der Rasse. Wir konnten keinen einzigen Grund dafür finden, daß dieser Begriff oder diese Idee überhaupt existiert. Weißt du, wir haben das alles in den Köpfen, aber es beruht nicht auf einer Realität dahinter, und es ist auch nicht wissenschaftlich fundiert. Man kann also sagen, das Projekt ist Anti-Rasse im Gegensatz zu Anti-Rassismus. Es ist gegen das Konzept der Rasse an sich. In dieser Form klassifiziert zu werden, ist in keiner Weise hilfreich.

Klassifizierungssysteme und Internet

  Stichwort Klassifizierung. Vielleicht könnt ihr mir etwas über das Suchmaschinenprojekt erzählen.

  Mongrel: (Graham) Es begann als eine Art Scherz zusammen mit Lisa (Haskel). Ich dachte laut darüber nach, ob man Fördergelder für eine rechtsextreme Suchmaschine bekommen könnte. Sie sagte, ich solle das Konzept doch aufschreiben, also tat ich das zusammen mit Matthew (Fuller), gab dem aber überhaupt keine Chance. Dann kam das Geld aber und ich war fürs erste wirklich am Boden zerstört. Denn die Idee war, wirklich eine Suchmaschine zu programmieren und uns mit diesem ganzen Komplex der Klassifizierungssysteme im Netz zu beschäftigen. Wir mußten das also nun in die Wirklichkeit umsetzen. Ein Ziel dabei war, Input von möglichst vielen Leuten zu bekommen. Wir fragten also Mervin und Richard, Teile beizusteuern, und andere Leute, die ich von der Zeit bei Artec kannte und Matthew kontaktierte eine Menge Leute aus dem Ausland, uns Inhalt zu geben. Wir wollten von den Leuten, dass sie sich damit beschäftigen, wie Rasse, Rassismus, Rassifizierung, Eugenik, all diese unterdrückerischen gesellschaftlichen Institutionen nun in die Netze und die vernetzten Medien migrieren. Wir wollten von den Leuten erfahren, wie es ihnen ergeht, wie die lokale Situation ist, was Rassismus betrifft. Es ging uns um die Verbindung zwischen dem, was im Internet stattfindet und dem täglichen Leben. Über diese Dinge sprachen wir mit den Leuten, die Inhalt beitrugen, zum Unterschied vom Kern der Sache, den die Suchmaschine bildet.

(Mervin) Graham bat mich zu analysieren, was uns besonders hinsichtlich der Eugenik betreffen würde. Der Begriff National Heritage traf mich besonders zu jener Zeit. Jamaika als ein Land ist Teil des britischen Nationalerbes. 300 Jahre gehörten wir zum britischen Weltreich. Unser kulturelles Erbe und unser Hintergrund haben also etwas mit dem zu tun, was in der englischen Gesellschaft vor sich ging. Jamaika und London, das ist für mich ein und derselbe Raum, es macht für mich keinen Unterschied, ob ich den Schritt aus Jamaika heraus oder nach London hinein mache. Der bezeichnendste Faktor aber, der mir als Jamaikaner auffiel war, daß man praktisch davon abgehalten wird, das Vereinigte Königreich ungehindert zu betreten. Ich fragte mich, warum wir Jamaikaner in der englischen Gesellschaft so schwer akzeptiert werden können, warum wir so oft abgewiesen werden, wenn wir zur Einreisekontrolle kommen. Es ist mir noch in frischer Erinnerung, daß ein Flug mit 208 Jamaikanern komplett zuruückgeschickt wurde, ausgenommen 11 Leute, dabei kamen sie alle für einen Weihnachtsurlaub. Das brachte mich darauf, eine Arbeit darüber zu machen, wie man einen bestimmten Immigrationsstatus erhält, und wie die Rasseneinteilung unterschwellig benutzt wird, um diese Struktur zur Definition eines Immigrationsstatus zu schaffen. Es gab nichts über Jamaika im Netz, was diese Zusammenhänge betrifft. Also entschloss ich mich, eine Website zu bauen, welche das Erscheinungsbild der BAA (British Airport Authorites) imitierte, komplett mit Logo, und welche diesen ganzen Problemkreis beleuchtete, inklusive dessen, welche Härten Jamaikaner erfahren, die in die Fänge von Zoll- und Immigrationsverwaltung fallen. Das ist also meine Art, mit diesen Dingen umzugehen.

  Und wie sieht Dein Beitrag aus, Richard?

  Mongrel: (Richard) Mein Beitrag zur Suchmaschine? Ich dachte darüber nach, was man mit Spielen machen könnte, also ein Spiel zu cracken und dann Bilder auszutauschen usw. Meine Idee hat etwas mit Stereotypen zu tun und ich wählte vier verschiedene Stereotype aus, mit denen ich Spass haben wollte. Dann machten wir uns auf die Suche nach einem Freeware Game, von dem man auch den Code bekommen und damit herumspielen konnte, also z.B. Sounds und Bilder ersetzen, so daß sie zu den Stereotypen passen würden, die wir im Kopf hatten. Danach begann ich mit Matthew zu arbeiten, um den Stereotypen Biographien zu geben, indem wir verschiedene Versionen von englischem und amerikanischem Slang benutzten. Die Straßenkultur in London ist so vielfältig. In einem Moment dominiert Jamaikanisch, im nächsten ist es wieder etwas anderes. Ich mischte diese Dinge also und unterzog sie einer Mongrelisierung. Ich wollte auch etwas über Autorität machen, darüber, daß ich keine Autoritäten mag, insbesondere die Polizei und das Rechtssystem. Wir benutzten also Icons von Polizisten als die Elemente in dem Spiel, die es zu eliminieren gilt. Es ist ein klassisches Ballerspiel, aber mit der Tonkulisse, der Musik und dem Text erzeugt es ein ganz anderes, frisches Gefühl.

(Graham) Ein ganz wichtiger Aspekt ist die Art wie wir arbeiten. Normalerweise würden wir nie so rumsitzen und darüber reden, was der Einzelne macht. Normalerweise interessieren wir uns für Dinge wie "wie gehts seiner Mutter", "sind die Kinder gesund" und "wo kommt das Geld fürs nächste Projekt her". Die meiste Zeit verwenden wir darauf, füreinander und für unsere Familien zu sorgen. Wenn wir zusammenarbeiten, dann denken wir weniger darüber nach, als einfach aus dem Leben zu schöpfen, das wir führen. Wenn es dann um Theorie oder Konzepte geht, dann setze ich mich vielleicht hin und versuche zusammenzufassen, was jeder in den letzten zwei Wochen gesagt hat. Auch bei Matthews Beitrag in der Publikation verhält es sich ähnlich. Matthew hat das geschrieben aber ich kann zumindest 8 Dinge darin entdecken, die Richard gesagt hat, oder Mervin. Es ist für uns sehr wichtig, daß die Arbeit, die wir machen, aus dem Leben kommt, das wir führen. Die Theorie ist dann ein anderer Aspekt, etwas, das man macht, wenn man viel Zeit und Ruhe hat.

(Richard) ...wir nähren uns voneinander

(Graham) ...und von unser aller Leben. Das ist es im Kern. Es würde gar nichts ausmachen, wenn wir nie etwas zusammen produziert hätten. Wenn Richard mich anrufen würde, ob ich seine Mutter um sieben Uhr morgens vom Flughafen abholen würde, dann würde ich das tun. Das sind die Dinge, auf die es ankommt.

  Ist das Projekt auch offen für andere

  Mongrel: Ja.

(Mervin) Das ist der wichtigste Punkt an der ganzen Mongrel Geschichte. Wenn jemand uns anspricht und sagt "ich hab eine tolle Idee" dann setzen wir uns zusammen und reden und sehen, was rauskommt.

  Vielleicht koennt ihr noch etwas genauer erklären, wie die Suchmaschine funktioniert.

  Mongrel: (Graham) Wir wollten uns damit beschäftigen, wie Dinge auf unsichtbare Art und Weise klassifiziert werden. Die Sachen im Netz sind klassifiziert, aber so, daß man es nicht bemerkt. Das ist wie wenn man in eine Bibliothek geht, alle Bücher wurden in eine Ordnung gebracht, aus bestimmten Gründen befinden sie sich alle an bestimmten Orten, und das beruht auf einem Klassifizierungssystem, das einige hundert Jahre alt ist. Die Art, wie diese Dinge organisiert wurden, beeinflußt, was man sehen kann. Man betrachtet die Bücher durch jemand anderes System hindurch. Wir wollten damit spielen, wie dieses System funktioniert. Dazu haben wir uns eine Suchmaschine ausgesucht und nehmen den Datenstrom, den sie ausspuckt und ersetzen teilweise URLīs durch unsere eigenen URLīs. Da die Leute nicht wissen können, ob es sich um Inhalte handelt, die einfach sowieso im Netz sind oder solche, die wir hineingetan haben, führt es hoffentlich dazu, daß die Leute viel kritischer damit umzugehen beginnen, weil man nie weiß, was man gerade vor sich hat. Wenn die Leute dieses Tool benutzen, so funktioniert es manchmal wie eine normale Suchmaschine, manchmal betrügt es sie. Selbst die Leute, die das wissen, müssen besonders genau hinsehen. Manchmal findet man Sachen und schreibt sie uns zu, obwohl sie gar nichts mit uns zu tun haben, man kann den Unterschied kaum mehr ausmachen.

  Also um das ganz klar zu bekommen, es gibt eine URL, unter der ich eure Suchmaschine aufrufen kann?

  Mongrel: (Graham) Ja, die sitzt da auf ihrer Site und sieht ungefähr so aus wie Yahoo und verhält sich wie eine normale Suchmaschine. Darunter befinden sich aber an die 20 Websites, die von uns gemacht wurden. Es gibt an die 8000 Schlüsselworte. Wenn man eines dieser Worte eingibt, führt es zu einer unserer Sites. Tippt man ein normales Wort ein, wie z.B. "Karrotte", dann verhält es sich wie eine normale Suchmaschine. Wenn man aber "nigger" eingibt, dann listet es zwar alle die bekannten rassistischen Sites auf, ersetzt die URL aber mit einer unserer URLīs. Wenn man da dann draufklickt, wird man direkt in eine unserer Sites gestoßen, ob die von Mervin oder Richard, je nachdem, was man erwischt hat. Man erwartet rassistische Inhalte, bekommt aber deren Sachen. Und dann haben wir auch Inhalte, die oberflächlich wie rechtsextreme Sites aussehen, aber eigentlich aus japanischen homosexuellen Pornowebsites zusammengebaut sind und bloß einige rechte Symbole verwenden. Es gibt hier also eine ganze Menge an Informationen, die einen in die Irre führen.

(Mervin) Wenn man ein Wort eingibt, das nicht zu unseren Schlüsselworten gehört, bekommt man eine genuine Antwort der Suchmaschine. Befindet man sich aber in unserem Bereich der Suchmaschine, so bekommt man ganz andere Antworten. Damit durchbrechen wir dieses unsichtbare Klassifizierungs-System. Hoffentlich wird der Inhalt auf unserer Site mit der Zeit so anschwellen, daß es wesentlich vielfältiger wird, auch reflektiver und vielleicht zu einem eigenem Raum im Web anwächst.

In der staubigen Ecke des Teppichs.

  Eine Denkrichtung könnte sein - ich kann mich auch irren -, daß die technischen Programmiersprachen bereits eine kulturelle Botschaft eingeschrieben haben.

  Mongrel: (Graham) Auf der Hardware-Seite ganz sicher. Man kann keinen Computer benutzen, wenn man keine Tastatur hat, und wenn man kein lateinisches Alphabet benutzt. Man braucht also ein Alphabet, um Computer benutzen zu können. Deshalb gibt es keinen genuin chinesischen oder japanischen Computer. In gewisser Weise gibt es also schon historisch-kulturell gebundene Entwicklungslinien.

Allerdings gab es immer Abweichungen darin, wie Leute die Maschinen benutzt haben, die Maschinen sind für sich genommen ja relativ einfach, eine Anzahl an Nullen und Einsern, eine Anzahl an Schaltern zwischen Ja und Nein und diese Art von Schaltern sind sehr verbreitet in den meisten Kulturen. Leute können diese Dinge in ganz verschiedene Richtungen entwickeln. Das Netz scheint heute hauptsächlich dazu da zu sein, daß amerikanische Unternehmen Geschäfte abwickeln können. Früher war es fürs Militär, jetzt ist es dazu da. Die Sache ist aber die, daß man es parasitär benutzen kann. Ich würde nie davon ausgehen, daß das extra für mich gemacht wurde, so in der Art, "oh mein Gott, BBC, das ist genau für mich gemacht". Niemals. Ich würde auch nicht erwarten, daß etwas wie die Ars Electronica speziell für mich oder uns eingerichtet wurde, oder das reflektiert, was ich interessant finde. Man benutzt es wie ein Parasit, wir sind die Flöhe, die am Rücken sitzen und zubeissen und daraus Blut und Prozessorleistung für unsere eigenen Absichten saugen. Diese Dinge sind nicht für uns geschaffen worden, wir existieren nur im Verwirrungszustand. Im Staub in der Ecke des Teppichs, dort wo die Teppich-Leute leben, da sind wir, die Teppich-Leute.


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