zurück zur net.art

Texte
[01] [02] [03] [04] [05] [06] [07] [08] [09] [10]
[11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20]
[21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30]

 

Interview mit Heath Bunting

Josephine Bosma   260897

Graffitikünstler, politischer Netzaktivist, Internt-Trickkünstler oder einfach nur verspielter Junge?

Heath Bunting wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem der bekanntesten net.artists. Dabei ist seine Arbeit schwer greifbar und der Ausdruck "facettenreich" würde dabei nur den Bereich der Vielfalt ansprechen, nicht jedoch, wie diese Vielfalt angelegt ist. Künstlerkollege Alexeij Shulgin bezeichnet ihn als "Performance Künstler im Netz" und verweist dabei auf die missverständliche Doppelbödigkeit von Buntings Netzperformances, die immer auch sehr reale Aspekte beinhalten, und das Netz zwar als Material und Werkzeug benutzen, wenn es opportun scheint aber auch eine Telefonzelle oder ein Stück Kreide. So handeln Buntings Arbeiten vor allem davon, wie man sich subtil den technologischen Überwachungs- und Kontrolleinrichtungen entzieht, die mehr und mehr die Netze ebenso wie den Realraum durchziehen. In einem am Rande des  Nettime Symposiums in Ljubljana geführten Gespräch erläutert Heath Josephine Bosma die Hintergründe seiner derzeitigen Projekte.

  Ich habe nun schon seit längerer Zeit nicht mehr mit Dir über Deine Arbeit gesprochen. Könntest Du mir etwas darüber erzählen, was du seit August/September letzten Jahres gemacht hast?

  Heath Bunting: Es ist warscheinlich leichter, sich in entgegengesetzter Richtung vorzuarbeiten. Zur Zeit arbeite ich an einem Projekt über CCTV (Closed Circuit Television) über das Internet, wobei man sich Aufnahmen von verschiedenen Stadtzentren in verschiedenen Ländern der Welt ansehen kann, z.B. Tokyo, Dublin, L.A. und London. Jede dieser Kameras ist mit einer Web-Seite verbunden und man wird aufgefordert, die Straßenszenen hinsichtlich möglicher Verbrechen zu beobachten. Wenn man irgendetwas auffälliges bemerkt, kann man seine Beobachtungen im Detail in ein Textfeld eingeben, einen Button anklicken und dieser Text wird direkt per Fax an die nächstgelegene Polizeistation gesandt, z.B. am Leicester Square. Es fordert die Leute also sozusagen auf, ihre eigene Polizei zu sein und der Polizei Arbeit zu ersparen, so daß sie nicht dauernd andere Leute beobachten müssen.

Ein Projekt, das ich kurz davor gemacht habe, hatte mit unerwünschter Werbe-Email (Junkmail) zu tun. Man kann zu einer bestimmten Web-Seite gehen (das Projekt würde auch genauso über Papier funktionieren) und dieser Seite würde eine gefälschte Email-Adresse zugeordnet werden, so daß man alle unerwünschten Werbe-Emails an diese neue Adresse weiterleiten kann. Diese ganzen neuen Adressen sind nicht völlig frei erfunden, sondern es sind Adressen von Leuten, die Junkmail versenden. Die gesamte Junkmail wird also von einer Junkmail-Firma an die nächste weitergeleitet.

Zur Zeit arbeite ich an einer algoritmischen Identität. Der Zweck eines Namens ist es, in gewisser Weise Investitions-Kapital aufzubauen, was zugleich eine Definition unserer Zivilisation ist. Dein Name scheint in verschiedenen Datenbanken auf und das übt in gewisser Weise Kontrolle über dich aus. Wenn dein Name nun algorhitmisch ist und sich die ganze Zeit verändert, und wenn das über längere Zeit benutzt wird, dann sabotiert das jeden Versuch, dich oder deine Identität aufzuspüren. Für Junkmail-Firmen z.B., die ich zuvor erwähnte, wird deine Identität nach einem Monat veraltet sein. Das heißt, daß auch meine Adresse veraltet sein wird. Die Form, die mein neuer offizieller Name nun annehmen wird, besteht aus den ersten drei Buchstaben des jeweiligen Monats, gefolgt von der Jahreszahl. Meine derzeitige Identität ist also sep97. Wenn Du mir also Email senden möchtest, dann schreib an sep97@irational.org. Nach einem Monat wird diese Identität ungültig geworden sein und alle Emails, die an diese Adresse gehen, werden als unzustellbar zurückgesandt. Leuten, die mich kennen, Menschen, wird es leicht fallen, meine neue Identität zu errechnen, während das Computern und statischen Datenbanken schwer fallen wird.

  Was passiert mit Email, die an Deine alte Adresse gesandt wird?

  Heath Bunting: Sie wird zurückgesandt. Ich bekomme sie überhaupt nie zu sehen. Neulich erhielt ich 14 Emails, davon waren 10 Junkmail. Dieses neue Verfahren wird dieses Problem mit einem Schlag lösen. Meine Adresse wird im nächsten Monat für alle Werbe-Spammer nutzlos sein.

  Du hast einige Konferenzen in der Internet-Gallerie  Backspace in London organisiert. Kannst Du mir darüber mehr erzählen?

  Heath Bunting: Backspace ist ein undefinierter Ort voll mit Technologie im Zentrum Londons, im Geschäftsviertel. Diese Vorträge und Treffen drehten sich um Vernetzung im breitestmöglichen Sinn. Zum Thema Netzwerk-Politik hatten wir Leute aus der Anti-Straßenbau-Protestbewegung, aus der Mail-Art-Szene und natürlich aus der Internet-Szene. Unser Anliegen war, den Begriff der Netzwerk-Strategien zu erweitern. Das Meeting über Netzreligion ist mir total aus der Hand geraten. Das Meeting entwickelte sich in eine Richtung, die ich überhaupt nicht geplant hatte, was auch in ordnung ist, aber es ist komisch völlig die Kontrolle über etwas zu verlieren, das man selbst geplant hat. Die Leute mochten es, aber es nahm diesen normalen Vorlesungsstil an. Einer sprach und alle hörten zu und danach gab es eine Diskussion, was ich eigentlich verzweifelt zu verhindern versucht hatte. Peter Lamborn Wilson, Toshyo Ueno, hari Kunzru und James Flint waren die Vortragenden. Sie wollten alle einen bestimmten Stil von Präsentation, genau den, den ich zu vermeiden versucht hatte.

Beim Netz.Kunst Treffen hab ich das dann in den Griff bekommen, denke ich. Das letzte, das Treffen über Netz.Politik war das erfolgreichste, weil ich am Anfang alle Leute mit Gratis-Gin besoffen gemacht habe. Die Atmosphäre war in gewisser Weise feierlich. Bei Politik werden die Leute immer viel zu ernst, daher also die Idee, sie betrunken zu machen: Damit es ihnen Spaß machen würde, dumme Sachen zu sagen und etwas zu riskieren. Außerdem durfte jeder nur 5 Minuten reden. Es gab Leute, die diese Regel verletzten, aber sie erhielten sanfte Rippenstöße, bis sie schließlich den Mund hielten. Einer von ihnen war Geert Lovink, ein anderer Richard Barbrook.

  Wieso wolltest Du keine Diskussion?

  Heath Bunting: Es geht nicht darum, daß ich keine Diskussion haben wollte. Der ganze Grund für diese Treffen war, eine Diskussion zu stimulieren. Wenn man jedoch eine bestimmte Form von Diskussion aufbaut, dann nimmt sie meist eine sehr einschlägige Richtung. Beim nettime Meeting in Lubljana hatten wir z.B. eine Diskussion über Netz.Kunst und auf Grund der Form der Veranstaltung kam es zu dieser steinzeitlichen Diskussion. Was ist Kunst und was nicht? Man muß andere Gesprächsformen erfinden, um so etwas zu vermeiden und damit neue Diskussionen entstehen können. Mit dem Format von "Anti with E" versuchte ich jedes Mal eine andere Art von Treffen herbeizuführen. Alle Sprecher waren auf 5 Minuten begrenzt und daher gezwungen, diesen MTV-Stil von Präsentation zu haben. Zunächst waren die Leute sehr skeptisch, aber wenn sie erst einmal einige Stunden da gesessen hatten und sich dreissig präsentationen angehört hatten, so daß jeder wußte, was der andere machte...ich hatte den Eindruck, daß es funktionierte und ich glaube auch die Leute haben gesehen, daß es funktioniert. Die Teilnehmer mußten ihre Ideen formulieren und sie sehr präzise und klar innerhalb von 5 Minuten auf den Tisch legen. Einige Leute waren dazu überhaupt nicht in der Lage. Das schlimmste, was einem passieren kann, ist irgendwohin zu kommen und jemand redet und redet über eine Stunde lang und am Ende hast du vergessen, was sie gesagt haben und sie haben selbst vergessen, was sie gesagt haben und man möchte eigentlich nur mehr gehen. Wenn eine Gruppe von Leuten interessante Präsentationen abhält, und wenn sie sich alle sehr kurz und prägnant fassen, dann wirst du dich daran erinnern. Ich behaupte nicht, daß es mit dieser Form keine Probleme gibt, aber für mich ist es aufgegangen.

  Könnte man sagen, daß Du das Territorium gewechselt hast, weg davon hauptsächlich mit Internet zu arbeiten, hin zu anderen Medien, wie Junkmail, was ja auch mit der Post funktionieren würde, und Konferenzen?

  Heath Bunting: Ich verändere mich die ganze Zeit. Es gibt zwei Hauptlinien in meiner Arbeit. Die eine ist Kommunikation oder Vernetzung oder als was auch immer man es bezeichnen möchte. Über Jahre hinweg habe ich versucht Dinge zu tun, indem ich Sachen verschicke, mit der Post oder per Fax, oder indem ich versuchte, theatralische Räume auf der Straße zu schaffen. Und die andere Seite meiner Arbeit sind Meetings, bei denen andere Leute Dinge miteinander machen können. Es ist einfach nur ein Zufall, daß ich zum selben zeitpunkt bekannt wurde, als auch das Netz populär wurde. In der Stadt in der ich lebte, in Bristol, war ich schon über Jahre hinweg dafür bekannt, diese Art von Sachen zu machen. Aber es kannte mich niemand in Amsterdam zum Beispiel, zum Unterschied von heute. Das ist der Vorzug des Internet. Jetzt versuche ich, mich zurückzuziehen. Ich habe mich professionalisiert, ich muß eine Menge über meine Zukunft nachdenken und muß mir über Geld und andere Dinge Gedanken machen. Das war früher nie der Fall gewesen. Ich möchte mich also jetzt davon zurückziehen, professioneller Künstler zu sein. Eine Möglichkeit das zu bewerkstelligen, ist diesen November nach Australien abzuhauen und keine Zukunft zu haben.

  Aber Du wirst dort auch arbeiten?

  Heath Bunting: Ich habe versucht, nichts zu tun, aber es geht nicht. Ich bekomme nur noch mehr Ideen. Ich werde also sicherlich weiterhin ähnliche Sachen machen, aber ich werde versuchen, sie auf eine nicht-professionelle Art zu machen. Ich kann zum Beispiel Vorträge halten, aber ich werde sie nicht 6 Monate vorher planen. Sie werden nicht mehr in meinem Lebenslauf aufscheinen und all das. Es ist eine sehr subtile Sache, eine Frage der Form. Wenn man sich professionalisiert, dann verliert man die ganze Essenz dessen, was man vorher war und was man zu erreichen versuchte. Ich möchte versuchen, dahin zurückzukommen, wo ich vorher war, aber offensichtlicherweise geht das nicht. Deshalb werde ich also fortfahren, die selbe Art von sachen zu machen, werde aber den ganzen Nonsens über Bord werfen. Professionalismus wird als ein Schritt vorwärts, weg vom Amateurismus betrachtet, aber für mich geht das nicht auf. Man verliert soviel, wenn man professionellen Status erlangt. Man wird total integriert. Dieses Jahr bin ich auf der Ars Electronica und bei der documenta X, was zwar interessant ist, aber ich möchte kein Künstler-als-Ware werden. Dieses Jahr bin ich also einer der weltweit wichtigsten 100 oder 200 Künstler, was bedeutet, daß ich eine gute Investition bin. Ich möchte aber einfach nur, daß Leute über das nachdenken,w as ich tue und nicht darüber, was es gekostet hat.

  Du hast gesagt, du möchtest zu deinen ursprünglichen Zielen zurückfinden. Was waren diese Ziele?

  Heath Bunting: Ich spiele gern. Gestern bin ich herumgelaufen, auf Sachen geklettert, habe kleine Kreidezeichnungen gemacht. Das ist genauso wichtig, wie eine große Auftragsarbeit zu haben, vielleicht noch wichtiger. Es macht wirklich Spaß und verursacht keinen Stress. Du bist einfach nur du selbst (wenn das überhaupt möglich ist). Ich habe viele Jahre damit verbracht, einfach nur in den Straßen herumzulaufen. Als ich zum Beispiel noch überhaupt keine Zukunft hatte, traf ich alle meine Freunde jeden Tag. Jetzt habe ich eine Zukunft, ich muß Verabredungen treffen und ich treffe Freunde nur noch sehr selten. Das hat sich in London bis hin zu einem Punkt entwickelt, daß ich mein Notizbuch mit Terminen vollschreiben würde, und keiner von uns hatte überhaupt noch die Zeit, sie einzuhalten. Deshalb habe ich damit aufgehört. Ich laufe meinen Freunden jetzt zufällig über den Weg. Es geht um dieses ganze Zukunfts-Ding. Du kannst Dein ganzes Leben damit verbringen, Dir um die Zukunft Sorgen zu machen und dabei nie in der gegenwart zu leben. Und wenn man mit der Kunstwelt zu tun hat, dann ist man gezwungen, sich die ganze Zeit über die Zukunft Sorgen zu machen. Wird die Arbeit rechtzeitig zur Eröffnung fertig sein? Nehmen die Leute dich ernst? Solltest du das tun, oder das? Ich möchte das einfach hinter mir lassen.

  Was bedeutet es, Netz.Künstler zu sein, innerhalb einer gewissen Gemeinschaft im Netz? Ist es möglich, Gedanken und Erfahrungen auf einer tieferen Ebene mit mehr Menschen auszutauschen, als man das als Künstler außerhalb des Netzes tun würde?

  Heath Bunting: Es gibt Dinge, die man bei internen Gesprächen sagt und Dinge, die man in der Öffentlichkeit sagt. Es freut mich wirklich, über Kunst und dergleichen mit Freunden zu diksutieren, aber ich würde nicht notwendigerweise in einem bestimmten öffentlichen Kontext behaupten, daß ich Künstler bin. Damit wirft man eine ganze Anzahl von Assoziationen auf, die sich möglicherweise gegen deine eigene Arbeit richten können. Ein wichtiger Aspekt bei Netz.Kunst ist, daß es sich um eine unsichtbare kunstform handelt, die versucht, ohne Zusatzgepäck auszukommen. Bei vielen Arbeiten geht es darum, sich einen Scherz zu erlauben, etwas zu fälschen oder umzudeuten. Wenn man also sagt, "das ist Kunst", dann ist sofort die ganze Deckung aufgeflogen. Vor einer Gruppe von 100 Leuten würde ich bestimmte Techniken nicht erklären, denn sie sind nicht mein Kontext, sondern ein Publikum. Es ist nicht die Frage, ob man in einer bestimmten Umgebung arbeiten kann oder nicht, sondern es geht darum, tatsächlich die Arbeiten zu produzieren. Es ist sehr schwierig, Arbeiten in einem öffentlichen Kontext zu produzieren, alles mögliche auszuprobieren und zu scheitern. Das meine ich mit Kontext. Du kannst das mit Freunden machen oder anderen Leuten, die sehr involviert sind. Danach kann man es vor ein Publikum bringen.

  Ich frage mich, ob die Konferenzen, die Du veranstaltet hast, etwas mit Enttäuschungen zu tun haben, die Du bei bestimmten Netzforen erfahren hast und bezüglich der ganzen Entwicklung des Netzes?

  Heath Bunting: Nein, nicht wirklich. Mir erscheint, daß ich jetzt genausoviel im Netz mache wie zuvor. Ich denke, daß, wenn man einmal für eine Sache bekannt ist, die anderen Sachen unsichtbar werden. Ich habe sehr viel Graffiti gemacht, aber die meisten Leute wissen das nicht. Mir gefällt das auch, denn dann sind die Sachen, die ich mit Kreide mache, nicht wirklich öffentlich.

  Was denkst Du über die ganze Diskussion von Nicht-Netzkünstlern über Netz.Kunst?

  Heath Bunting: Ich habe an Geert Lovink eine Frage bezüglich dieser Publikums-Sache gerichtet. Ich denke es ist eine wertvolle Taktik, einem Publikum zu erklären, man sei kein Künstler. Das erleichtert einen um historichen Ballast. Wenn man sich dann aber in einer kleineren Gruppe befindet und versucht, Projekte zu entwickeln und Ideen auszutauschen, dann kann es sich sehr störend auswirken, immer noch zu behaupten, man sei kein Künstler. Man muß mit Leuten kommunizieren, um Projekte zu entwickeln. Ich habe ihn also diesbezüglich herausgefordert, aber er behauptet immer noch, kein Künstler zu sein. Ich finde das sehr interessant, gerade auch hinsichtlich seiner teilname an der documenta. Vielleicht ist seine Aussage, kein Künstler zu sein, im Privaten ebenso wie in der Öffentlichkeit gültig, aber ich habe das für mich im Kopf noch nicht klar bekommen können. Wenn man mit Leuten in einem sehr engen Austausch steht und über die geheimsten Ideen kommuniziert, dann kann das Leugnen des Künstlertums sehr verwirrend sein.

Ich denke Netz.Kunst ist dieses Jahr ein sehr schwieriges Thema. Es wurde von Institutionen aufgegriffen, es ist wie mit Geld, die Leute wollen es, aber wenn sie es bekommen, sind sie immer nch nicht zufrieden, weil es nur ein Zeichen für etwas anderes ist. Geld kann viele Dinge symbolisieren. Leute reden über etwas, aber tatsächlich reden sie über etwas ganz anderes. Ich denke, daß viele versteckte Anliegen und Wünsche ins Spiel kommen, wenn etwas plötzlich erfolgreich und institutionalisiert wird.

  Aber es ist nicht gerade eine Frage des "In"-Seins, oder? Für mich klingt das so, als wäre es eine Modeerscheinung. Die Leute agieren aus einem sehr tief sitzenden Gefühl heraus gegenüber dem, was sie als nicht richtig empfinden.

  Heath Bunting: Netz.Kunst ist dieses Jahr "heiß". Ich kann mich erinnern, bei der ersten "Anti with E" Konferenz gesagt zu haben, "das ist das Jahr der Netz.kunst und wir müssen deshalb sehr vorsichtig sein. Es kann sehr leicht geschehen, daß es aufgegriffen wird, gehyped wird und dann diskreditiert wird und dann kannst du zu deinem Kontext tschüs sagen. Deshalb müssen wir das in diesem Jahr sehr vorsichtig angehen." Es ist also ein schwieriges Jahr mit schwierigen Themen. Dieser Begriff Netz.Kunst zum Beispiel, ist für mich als einen der Ausübenden ein Scherz, ein Täuschungsmanöver. Nichtsdestotrotz wurde es aber allem Anschein nach ernst genommen.

  Aber es war nicht nur ein Scherz?

  Heath Bunting: Nein. Aber wenn man zum Beispiel mit Alexeij Shulgin spricht, der einer der Leute ist, die die Netzkunst vorwärts bringen werden, und ihn fragt, was er als nächstes tun wird, dann wird er antworten, daß er nach Brasilien fährt, um Kinder zu fotografieren. Er sucht nach einem neuen Kontext. Er ist aus Moskau, ein "Künstler aus Osteuropa". Er paßt perfekt zu dieser Nettime-Rhetorik der Unterstützung für verarmte Künstler. Er hat das erfolgreich ausgebeutet. Er kommt zu diesen Treffen und sagt sehr wenig, geht aus, nimmt an den Abendessen teil. Er freut sich in einem anderen Land zu sein. Er spricht eigentlich nie über Politik, gibt diese winzigen Brocken über Kunstthemen von sich und das ist es. Es war für ihn ein dankbarer Bereich, den er ausnutzen konnte. Wahrscheinlich wird er es bald sein lassen.

Deshalb sind die Investitionen problematisch, denn viele Leute arbeiten nur temporär mit diesen Medien, als eine vorübergehende Taktik. Sie stecken eine Menge Energie hinein, das ist also ihre Investition. Und dann müssen sie dabeibleiben, während ihre ursprüngliche Intention verlorengegangen ist. Jemand wie Alexeij wird erfolgreich sein, weil er bereits von einer Sache zur anderen gesprungen ist, von der Videokunst zum Computer, und bald wird er zum nächsten Kontext überwechseln. Jedesmal ist er dabei der arme Moskauer Künstler. Als er noch Bilder verkaufte, diese Dinger also, die man an Wände hängen kann, da konnte er sie verkaufen, weil er aus Moskau war. Die Leute sagen, "ja, Moskau, das muß ein sehr interessanter Ort sein". "Diese nervtötenden Sowietmenschen..." Er macht nun dasselbe. Und ich mach es auch so. Die Leute glauben, daß ich sehr interessant bin, weil ich aus London bin, weil es da im Moment eine gute Musikszene gibt.

  Ich denke Du hast Deinen "Wohltätigkeitsaspekt" hauptsächlich über Deine Graffiti-Vergangenheit aufgebaut. Dein Image als Straßenkünstler.

  Heath Bunting: Ich passe aber nicht in das modische Straßenkunst-Ding. Ich trage nicht diese Art von überweiten Hosen und ich höre keinen Hip Hop. Das war der Bereich, der sehr modisch war. Ich laufe einfach durch die Gegend und mache seltsame kleine Sachen mit Kreide. Das sind einerseits zynische Kommentare, andrerseits einfach bloß Witze, aber es liegt auch etwas Wahrheit drin.

 Josephine Bosma ist freie Journalistin und arbeitet für Radio Patapoe, Amsterdam.

Aus dem Englischen übersetzt von Armin Medosch.

Links:

Webcam neighbourhood  watch project

Junkmail  project

Anti with E  lectures

Zu  Heath Bunting gibt es auch ein pop~Tarts Feature.


Copyright © 1996-98 All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
Verlag Heinz Heise, Hannover