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Die Poesie der Neuen Medien

Stefan Krempl   13.11.97

Interview mit dem Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch über (digitales) Geld, Medien, globales Gehirn, Geist und Metaphern.

Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch hat sich viel vorgenommen. Er schreibt an nichts geringerem als einer "Genealogie" der Medien. In seinem Buch "Kopf oder Zahl" analysiert er die Funktion des Mediums Geld in der Literaturgeschichte und versucht, eine "Poesie des Geldes" zu erstellen. Überhaupt ist er ein großer "Poetiker", der Bezüge vor allem zwischen Literatur und Religion herstellt. Zweiter Teil der Genealogie heißt folgerichtig "Brot und Wein" und handelt von der "Poesie des Abendmahls". Das Projekt, an dem er momentan arbeitet, ist die "Poesie der Neuen Medien".

  Wozu haben wir Medien und wie haben sich die Medien entwickelt?

  Jochen Hörisch: Eine der wichtigsten Medienaufgaben ist das Versammeln. Als eines der ersten zentralen "Massenmedien" sehe ich daher das Abendmahl, die Feier der Kommuni(kati)on. Es ist teilnahmepflichtig und dient dem gemeinsamen Austausch. Im Laufe der Neuzeit ging seine mediale Funktion allerdings mehr und mehr auf das Leitmedium Geld über, das die Teilnahmepflicht am medialen System noch verstärkt hat: Wer kein Geld hat, keine Gebühren zahlt, bleibt draußen vor.

  Was haben Geld und Abendmahl gemeinsam?

  Jochen Hörisch: Das Mediensystem Geld hat viele Grundzüge der Religion übernommen, das Abendmahl ist zur Bank geworden: Bankgebäude sind die Tempel und Kirchen der Moderne. Sie ähneln sich sowohl vom Aussehen als auch in ihrem "sakralen Charakter". Geld wird genauso geweiht wie religiöse Gegenstände. Es hat oftmals Fetischcharakter und leitet seine mediale Kraft direkt "von oben" her: "In God we Trust" steht nicht umsonst auf den Dollarnoten. Die Heilige Messe ist zur Konsumgütermesse geworden, und wer aus dem System herausfällt, leistet einen "Offenbarungseid".

Die Verschiebung im Mediensystem spiegelt sich auch in der Literaturgeschichte: Vom 18. Jahrhundert an wächst die Zahl der Romane drastisch an, in denen Geld zumindest unterschwellig eine sehr wichtige Rolle spielt, in der die Beerbung der Oblate durch das Geld zum Thema wird: Denken Sie an den Faust und die Erfindung des Papiergelds, an die Vertreibungen der Protagonisten aus dem medialen System in "Soll und Haben", "Schuld und Sühne" oder schon bei Madame Bovary.

  Die Digitalisierung hat auch das Geld erfaßt. Geld ist zu einer Abfolge von Nullen und Einsen geworden, die durch die Netze rauschen. Was verändert sich dadurch im Mediensystem?

  Jochen Hörisch: Das Geld ändert vollkommen seine Gestalt. Es wird zum Monitorgeld, zur reinen Information, das den Fetischcharakter des Geldes nun endgültig offenlegt und sich in symbolischen Zeichenkonfigurationen auf dem Screen widerspiegelt. Klar wird dabei auch die absolute Beliebigkeit des Geldes, das sich als indifferentes Referenzmedium auffassen läßt. Indifferent ist es erstens gegenüber den sachlichen Werten. Es ist im Geldsystem beispielsweise völlig egal, ob ich Geld zum Mädchenhandel oder zum Computerkauf verwende. Indifferent ist es zweitens gegenüber den Tauschpartnern und drittens gegenüber dem Zeitpunkt der Verwendung.

In diesem Zusammenhang macht die Entwicklung des digitalen Geldes im Internet auch deutlich, daß Information, Zeit und Geld sich bis zur Ununterscheidbarkeit annähern und verschwimmen. Information ist eine "Währung" im Netz, gleichzeitig ist digitales Geld nichts weiter als eine Information aus Bits und Bytes. Und austauschbar sind beide Einheiten in- und gegeneinander in Sekundenschnelle.

  Wie läßt sich dieser Komplex von Zeit, Geld und Information veranschaulichen?

  Jochen Hörisch: Das Netz der großen Banken und Börsen läßt sich mit dem zerebralen Nervensystem vergleichen: Wie Nervenimpulse werden in ihm täglich Milliardengeschäfte rein virtuell abgewickelt. Das ZNS der Welt ist deswegen als ein vollkommen monetarisiertes System aufzufassen.

Die Gehirnmetapher finde ich generell viel passender als die eigentliche Netzmetapher. Netze auszuwerfen bedeutet seit Urzeiten, etwas über die Welt in Erfahrung bringen zu wollen. Schon im Lied von Odysseus wird die Metaphorik aber in die Richtung weitergesponnen, daß man sich in Netzen nur allzu leicht verfangen kann. "Surfen" verrät mehr über die heutige Navigation im Internet: Man surft immer nur in Küstennähe, im Sichtkontakt mit dem Land und braucht Leuchttürme zur Orientierung. Langfristig wird auch diese Metapher aber an Bedeutung verlieren.

  Das Internet also als Global Mind, als großes Gehirn und Nervensystem, durch dessen Bahnen die Geld- und Informationsströme fließen?

  Jochen Hörisch: In gewisser Weise: ja. Die Verbindung von Geld, Geist und Information spiegelt sich darin zumindest wider und knüpft an ihre alte Tradition an: Geld und Geist stehen von Anfang in einem äußerst engen Wechselverhältnis: Ungefähr im 7. Jahrhundert vor Christus wurde im damals griechisch geprägten Kleinasien das Geld erfunden. Es sollte die Geschäfte auf dem Markt vereinfachen und den Tauschhandel ersetzen, indem es Dinge - anfangs verschiedene Sachgüter, später Sach- und immaterielle Güter - gleichsetzte, die eigentlich nicht gleich sind. Damit war auf der Agora, dem Markplatz, auch die Abstraktion erfunden worden: die Logik nahm ihren Lauf. Der abstrakt denkende, logische Geist ist also nicht anderes als die andere Medaillenseite der Einführung des Geldes.


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